Duell im Eis
Konnte man ihm sagen, daß er keine Hoffnung mehr hatte? Vielleicht ahnte Ric es schon selbst und fraß es in sich hinein.
In einer weit ausgedehnten Kette flogen die fünf Hubschrauber über den Berg, über Eiszinnen und Gletscherspalten, längliche Seen und zerklüftete Eishänge. Wenn hier eine Notlandung versucht worden war, bedeutete das eine Katastrophe.
Sie flogen drei Stunden über den Eisberg, vollführten große Kreise, um nichts zu übersehen, und je weiter die Zeit fortschritt, um so trostloser fühlte sich Brooks. Wie es jetzt Henderson zumute war, wagte er nicht zu denken. Das erste, was ich tue, nahm er sich vor, ist, dem Idioten Mulder die Litzen abzureißen und ihn zu degradieren. Seymore wird das schriftlich bestätigen und an das Oberkommando melden. Vielleicht wird das sogar eine unehrenhafte Entlassung aus der Air Force. Dann ist Mulder erledigt – wer will so einen Menschen noch nehmen?
Ein Funkspruch schreckte Brooks auf, unterbrochen von einem Aufschrei aus Hendersons Hubschrauber.
»Ich sehe was, Commander!« rief Lieutenant McColly. »Links von mir, vor dieser verdammten Zackenwand. Sieht wie Trümmer aus.«
»Es sind Trümmer!« schrie Henderson ins Mikrofon. »Ich drehe ab und zu ihnen hin. Gehe runter auf hundert Fuß. Verdammt, verdammt, es ist der Hubschrauber, auseinandergeplatzt, die Trümmer liegen herum. Jim –«
»Ja, Ric?« Brooks kam sich sehr elend vor. »Ich komme zu dir.« Jetzt, zum erstenmal, duzte er Henderson und kam sich vor wie ein Vater, der einen Sohn trösten mußte. Aber was war jetzt Trost? Zuerst kam der unendliche Schmerz.
Nacheinander landeten die fünf Hubschrauber. Henderson war der erste, der über das Eis rannte, zweimal hinfiel und endlich die zerbrochene, halbe Glaskanzel erreichte. Neben Mulder, den bereits eine dünne Eisschicht überzog, kniete er nieder und befreite dessen Gesicht von dem Pelz. Das Gesicht mit dem erstarrten Blut beantwortete jede Frage.
Da war auch schon Brooks heran, warf einen Blick auf Mulder und legte wie betend die Hände übereinander. »Komm, Ric«, sagte er heiser. Er gab sich keine Mühe, seine Erschütterung zu verbergen. »Wir nehmen alles mit.«
»Wo ist Virginia, Jim?« Henderson erhob sich von den Knien. Er weinte in sich hinein, und Brooks hielt es für selbstverständlich, daß ein harter Mann wie Henderson auch Tränen hatte.
»Wir suchen sie, Ric. Mulder ist beim Absturz getötet worden. Daß Virginia nicht neben ihm liegt, ist eine winzige Hoffnung. Sie kann nur verletzt sein und hat sich irgendwo verkrochen, in Sicherheit gebracht. Ric, wir finden sie … Ich glaube, wir sind nicht zu spät gekommen. Sieh dir das an. Sie hat Mulder noch zugedeckt. Sie lebt, Ric!«
Über eine Stunde suchten sie, weit ausgeschwärmt, und eine Stunde lang schrie Ric ununterbrochen: »Virginia! Gina! Virginia! Wir sind hier! Melde dich! Wo bist du, Virginia?«, bis er so heiser wurde, daß kein Ton mehr aus seiner Kehle kam.
Aber Virginia fanden sie nicht. Nicht eine Spur von ihr, nicht einen Anhalt, nicht einen Hinweis. Hatte es eine Spur gegeben, so hatte der Wind sie verweht. In jeder Höhle der zerklüfteten Eismauer suchten sie, schauten in jede Eisspalte, drangen sogar durch tiefe Risse in die Wand ein. Nach einer Stunde trafen sich alle wieder bei dem toten Mulder, den Dr. Silverton notdürftig untersucht hatte.
»Getötet durch Splitter«, sagte er und starrte Brooks an. »Nichts von Miß Allenby?«
»Nichts, Doktor.« Brooks holte tief Atem. »Sie muß in eine Gletscherspalte gestürzt sein, aber in welche? Und wenn wir's wüßten, da bekommen wir sie nie heraus.«
Henderson ging mit gesenktem Haupt zu seinem Hubschrauber zurück. Niemand folgte ihm, niemand sagte ein Wort, sie wußten alle, daß er jetzt allein sein wollte, daß er allein das Unbegreifliche erfassen mußte. Trost brauchte er nicht; hier gab es nichts mehr zu trösten.
»Alles einladen!« sagte Brooks mit harter Stimme. »Wir werden nie erfahren, wie das passieren konnte. Habt ihr den abgerissenen Tank gesehen? Er ist noch halb voll!«
Es dauerte nochmals eine Stunde, bis sie die Trümmer und den toten Mulder eingeladen hatten und zurückfliegen konnten.
Brooks meldete sich über Funk bei Henderson. »Bist du okay, Ric?« fragte er.
»Ja, Jim.«
»Kannst du allein fliegen, oder soll ich jemand zu dir schicken?«
»Ich schaffe es allein, Jim. Danke.«
»Es tut mir leid, Ric.« Brooks' Stimme klang gepreßt. »Aber wir müssen darüber
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