Duell: Island Krimi (German Edition)
bisschen, und wir werden sehen, wie sie auf unseren Besuch reagieren. Wir müssen auf jeden Fall vermeiden, Informationen preiszugeben, und trotzdem herausfinden, was sie denken.«
»Was hat der Junge eigentlich gehört?«, fragte Albert und ließ den Motor an.
»Gute Frage.«
»Kann es sein, dass die Russen ihn umbringen wollen?«, sagte Albert.
»Wen?«
»Die Russen?«
»Wen umbringen?«
»Nein, verdammt nochmal. Das …«
»Was denn?«
»Kann es sein, dass die Russen Bobby Fischer umbringen wollen?«
Vierzig
Auf dem Weg zur sowjetischen Botschaft informierte Marian Albert über das Gespräch mit dem Dezernatsleiter und über dessen seltsame Anweisung, Viðar in Ruhe zu lassen. Auch Viðar hatte sie darum gebeten, allerdings ohne ihnen zu sagen, weshalb. Die Frau im Büro hatte nicht gewusst, für wen genau er im Zusammenhang mit dem Weltmeisterschaftsmatch arbeitete, und auch den Namen Juri Vygocki kannte sie nicht, Viðar hatte ihn ihr gegenüber nie erwähnt.
»Was zum Teufel machen die Russen da eigentlich in der Halle?«, sagte Albert, als er auf die Miklabraut einbog.
»Spasski ist im Rückstand«, sagte Marian. »Vielleicht haben sie ja noch was in petto, falls es wirklich kritisch wird. Viðar hat behauptet, dass Menschenleben in Gefahr seien. Was hat er damit gemeint.«
»Kann es wirklich sein, dass es um Bobby Fischer geht?«
»Ich …«
Marian wollte den Gedanken nicht zu Ende denken.
»Sollten wir nicht den Schachverband informieren?«, fragte Albert. »Müsste das Match nicht unterbrochen werden?«
»Warten wir erst einmal ab, was die Russen zu sagen haben und wie sie auf unseren Besuch reagieren. Und dann sehen wir weiter. Mit dem Schachverband müssen wir ohnehin früher oder später reden. Es wäre schlimm, wenn das Match beim gegenwärtigen Spielstand wegen irgendwelcher Spekulationen unterbrochen werden müsste. Undenkbar.«
Albert fuhr rasch in den westlichen Teil der Stadt. Im Kreisverkehr am Melatorg bog er nach rechts in die Suðurgata ein und wenig später zweimal nach links, zuerst in die Túngata und dann die Garðastræti. Er parkte das Auto direkt vor der russischen Botschaft.
Dort klopfte er an die Tür.
»Brauchen wir nicht eine besondere Erlaubnis?«
»Ganz bestimmt«, antwortete Marian. »Versuch es mal mit der Klingel.«
Am Haupteingang befand sich eine Überwachungskamera. Marian starrte hinauf, und überlegte, ob sie tatsächlich beobachtet wurden. Von drinnen hörte man ein Geräusch, und dann öffnete sich die Tür. Ein kleiner, schlanker Mann mit zierlichem Oberlippenbart erschien. Er trug einen schwarzen Anzug.
»Wir sind von der Kriminalpolizei«, sagte Albert auf Englisch. »Wir müssen mit dem Botschafter sprechen.«
»Haben Sie einen Termin?«, antwortete der Mann. »Soweit ich weiß, werden Sie nicht erwartet.«
»Wir haben keinen Termin«, sagte Albert und zeigte seinen Polizeiausweis vor. »Es geht aber um eine wichtige Angelegenheit und steht in Verbindung zu einer schweren Straftat in Reykjavík.«
Der Mann überlegte. Es war sehr ungewöhnlich, dass Besucher in die Botschaft kamen, ohne sich vorher so rechtzeitig angemeldet zu haben, dass das Anliegen seitens der Botschaft genau geprüft werden konnte.
»Der Botschafter ist nicht im Haus«, sagte er. »Er hat großes Interesse an diesem Schachmatch. Die Fortsetzung der dreizehnten Partie«, fügte er lächelnd hinzu.
»Er ist also in der Halle?«, fragte Albert.
»Genau«, sagte der Mann, der ihnen offensichtlich behilflich sein wollte. »Wenn es um eine Polizeiangelegenheit geht, sollten Sie vielleicht mit dem Sicherheitsbeauftragten reden.«
Marian nickte Albert zustimmend zu.
»Ja, gern«, sagte Albert.
Der Mann ließ sie nur bis in die Eingangshalle. Von dort aus konnte man durch eine halb geöffnete Tür in einen kleinen Raum blicken, eine Art Vorzimmer für diejenigen, die einen Termin beim Botschafter hatten. Gemälde aus der Sowjetzeit hingen an den Wänden, und auf Tischen und Regalen befanden sich Kunstobjekte aus den Ostblockstaaten, Porzellanfiguren und Holzschnitzereien. Marians Blick fiel auf eine Puppe, die als hübsche Braut auf einem der Regale im Empfangsraum stand. Die Fenster wurden von schweren Vorhängen eingerahmt, und ein Lüster aus böhmischem Kristall hing von der Mitte der Decke herunter.
»Glaubst du, dass wir uns auf dem Holzweg befinden? Dass dieser Besuch ein falscher Schachzug war?«, fragte Marian, als sich der Mann mit dem Oberlippenbart entfernt
Weitere Kostenlose Bücher