Duell: Island Krimi (German Edition)
Geheimdienst.«
»Und der andere?«
»Über den weiß ich ebenfalls nichts. Vielleicht war er Russe, vielleicht auch nicht.«
Albert zögerte.
»Aber worum ging es bei diesem Treffen? Was durfte der Junge nicht aufnehmen?«
»In Reykjavík passiert zur Zeit sehr viel. Es liegt sehr nahe, den Fall mit der Schachweltmeisterschaft in Verbindung zu bringen. Trotzdem glaube ich nicht, dass wir uns beim gegenwärtigen Stand der Dinge schon auf irgendetwas festlegen sollten. Dazu wissen wir im Augenblick noch viel zu wenig. An sämtlichen großen Botschaften hierzulande gibt es Geheimdienstleute, die als sogenannte Handelsattachés akkreditiert sind, und wegen der Weltmeisterschaft sind sie noch zahlreicher geworden. Es kommt aber auch anderes in Frage, beispielsweise der Flughafen in Keflavík. Oder der bevorstehende Kabeljaukrieg mit den Engländern. Russische U-Boote in unseren Hoheitsgewässern. Der Vietnamkrieg.«
»Aber du schließt nicht aus, dass es etwas mit dem Weltmeisterschaftsmatch zu tun haben könnte?«
»Es wäre unsinnig, das auszuschließen.«
»Meinst du damit, dass die beiden in Gefahr sein könnten?«
»Welche beiden?«
»Fischer und Spasski.«
»Keine Ahnung«, erklärte Marian.
»Sollten wir uns dann nicht mit dem Schachverband in Verbindung setzen? Sie darüber informieren, dass die Sicherheitsmaßnahmen verschärft werden müssen?«
Marian sah Albert an.
»Meinst du nicht, dass der Schachverband im Augenblick schon genug um die Ohren hat?«
»Aber …«
»Das hat doch keinen Sinn, solange wir nichts anderes vorweisen können als Mutmaßungen. Du weißt, dass ich einfach nur irgendwelchen Ideen nachgehe. Ich habe nichts in der Hand, was irgendeine von diesen Theorien stützt. Wir brauchen schlicht und ergreifend wesentlich Konkreteres als meine Überlegungen. Der Schachverband hat ohnehin schon mehr als genug zu tun, ihm sitzen irgendwelche komplett verrückten Schachfanatiker im Nacken.«
»Die Überprüfung der Fingerabdrücke könnte etwas bringen.«
»Ja, und es wäre sicherlich sehr vernünftig, auf das Ergebnis zu warten«, sagte Marian.
Auf Alberts Schreibtisch klingelte das Telefon. Er nahm den Hörer ab, hörte zu, sagte zweimal Ja, blickte mit ernster Miene zu Marian auf dem Sofa hinüber, sagte ein weiteres Mal Ja, bedankte sich dann und legte den Hörer langsam auf die Gabel.
»Sie haben eine Zigarette aus deiner Schachtel gefunden«, sagte er. »An der Bordsteinkante auf der gegenüberliegenden Seite vom Barónsstígur, ganz in der Nähe des Kinos. Eine russische Zigarette.«
Marian antwortete nicht.
»Sie haben eine Zigarette aus der Packung gefunden.«
Noch immer keine Antwort.
»Marian?«
Albert beugte sich vor und sah, dass Marian eingeschlafen war.
Marian Briem war am späten Nachmittag immer noch im Büro am Borgartún, als das Telefon klingelte und eine Frauenstimme fragte, ob sie mit Marian spräche.
»Ja.«
»Hallo Marian, hier ist Dagný.«
»Dagný! Wie schön, dich zu hören.«
»Du bist noch bei der Arbeit?«
»Ja.«
»Geht es um den Jungen im Hafnarbíó?«
»Ja, der macht uns zu schaffen.«
»Habt ihr schon etwas herausgefunden?«
Marian lächelte. Dagný war sehr neugierig und erkundigte sich oft nach den Fällen, mit denen Marian befasst war.
»Wir kommen voran.«
»Was ist das nur für ein Dreckskerl, der zu einer solchen Tat fähig ist. Man hätte gedacht, dass es so etwas bei uns in Island nicht gibt.«
»Ja.«
»Und wie geht es dir sonst?«
»Danke, ich fühle mich relativ gut«, sagte Marian. »Ich bin eigentlich immer auf dem Sprung, dich zu besuchen. Vielleicht sehen wir uns mal ein Spiel zusammen an.«
»Unbedingt. Hat Papa dich erreicht?«
Marian hatte diese Frage erwartet.
»Er hat angerufen.«
»Und?«
»Kein Und.«
Die Frau am anderen Ende der Leitung schwieg eine Weile, dann sagte sie: »Er würde dich so gerne noch kennenlernen.«
»Ja«, entgegnete Marian. »Das weiß ich, Dagný, aber daraus wird nichts.«
»Kannst du nicht versuchen, ihm zu verzeihen?«
»Da gibt es nichts zu verzeihen. Er geht mich nichts an, und ich gehe ihn nichts an. Daran lässt sich nichts mehr ändern.«
Vierzehn
Albert war am nächsten Morgen eigentlich auf dem Weg zur Ford-Vertretung, doch dann beschloss er, kurz in der Veranstaltungshalle vorbeizuschauen. Die Besucher strömten bereits in die große Sporthalle, in der später am Tag das Jahrhundertmatch eröffnet werden würde. Albert hatte sich schon immer für Schach
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