Duell: Island Krimi (German Edition)
unbedingt blau sein. Ich war nicht unhöflich ihm gegenüber, ich habe ihm nur gesagt, dass er später wiederkommen solle, um den Wagen in Empfang zu nehmen.«
»Und wie hat er darauf reagiert?«
»Er kam am nächsten Tag wieder und hat den Cortina abgeholt. Aber auch da war er nicht vollkommen nüchtern.«
* * *
Marian Briem hatte bei einem Geschäft in der Njálsgata gehalten, um sich ein Smørrebrød mitzunehmen, das nicht nur kunstvoll garniert war, sondern auch entsprechend sorgfältig verpackt wurde. Es war schon spät am Abend. Neben den Nobelrestaurants wie dem Naust oder dem Hotel Holt gab es in Reykjavík nur wenige Restaurants, höchstens Imbissstuben, die Hamburger mit Pommes frites und Milchshakes verkauften. Dieser Laden jedoch war ganz nach Marians Geschmack, die dänischen Smørrebrøds waren wunderbar, beispielsweise mit Ei und eingelegtem Hering, mit Roastbeef oder geräuchertem Lammfleisch belegt und üppig garniert.
Zu Hause angekommen, schaltete Marian das Radio ein und aß das Smørrebrød mit großem Genuss. Der Fernseher im Wohnzimmer war relativ neu, Marian hatte ihn angeschafft, nachdem das Isländische Fernsehen seinen Sendebetrieb aufgenommen hatte. Anfangs hatte Marian öfter geschaut, vor allem Sendungen, die in Island produziert wurden. Doch mit der Zeit hatte Marians Interesse stark nachgelassen, und inzwischen wurde der Fernseher nur noch ganz selten einmal eingeschaltet. Im Rundfunk lief eine Sendung über den Komponisten Jón Leifs, und es wurden Ausschnitte aus seinen Werken eingeblendet, monumentale Musik zu monumentalen Stoffen. Marian setzte sich ins Wohnzimmer, um sich in die Akten über den Mord im Hafnarbíó zu vertiefen, aber irgendetwas in der Musik von Jón Leifs, irgendein kalter Beiklang in der Musik beschwor Erinnerungen an den Koldingfjord herauf.
Es geschah immer seltener, dass Marian die alten Briefe zur Hand nahm und in ihnen blätterte. Nur wenige von ihnen waren an das Sanatorium im Koldingfjord adressiert, und alle stammten sie von Athanasius, der sich nach Marians Befinden in dem Sanatorium erkundigte und aus Island berichtete.
Als dann diese Postkarte mit dem Bild vom Koldingfjord eintraf, hatte Marian sie sich immer wieder angesehen und sogar mit ins Büro genommen.
Knapp vierzig Jahre war es her, dass diese Briefe abgeschickt worden waren, ihr Alter war ihnen anzusehen, das Papier war vergilbt und spröde, die Bleistiftschrift verblasst, ganz anders als die Zuneigung zu dem Absender, die wurde von Mal zu Mal kostbarer, wenn Marian die Briefe zur Hand nahm. Sie begannen alle mit einer wunderschönen Anrede, Mein gutes Kind oder Du mein Liebling , und drückten in wenigen Worten Wünsche für eine gute Besserung und einen schönen Aufenthalt aus, und auch die Hoffnung, dass Marian bald neue Freunde finden und dass das Personal des Sanatoriums Marian gut behandeln möge – andernfalls sollte Marian es ihn unverzüglich wissen lassen. Dann folgten Berichte über irgendwelche belanglosen Ereignisse in Island und über die Weltwirtschaftskrise, die schier kein Ende nehmen wollte, Nachrichten von der Herrschaft und den Dienstboten, alle schickten sie Grüße. Die Forellen seien froh gewesen, die Freiheit im See von Þingvellir wiedererlangt zu haben, schrieb Athanasius. Der Große habe ordentlich gezappelt, bevor er in der Tiefe des Sees verschwand. Die Briefe endeten mit einem lieben Gruß und mit weiteren freundlichen Wünschen für eine gute Besserung.
Marian hatte auf alle Briefe von Athanasius geantwortet, aber diese Antworten waren verloren gegangen. Der letzte Brief wurde geschrieben, als Marian schon geraume Zeit in dem Sanatorium verbracht hatte. Antons Tod war immer noch nahe, und was in dem dänischen Sanatorium vor sich ging, hatte Marian in einem Satz zusammengefasst, der am Schluss des letzten Briefs stand. In ihm ging es um nichts weniger als eine oberste Gottheit, und das hatte Athanasius viel Kopfzerbrechen bereitet:
Es ist einfacher, an Gott zu glauben,
wenn man weiß, dass er nicht existiert.
Fünfzehn
Die Zeitungen waren voll von Nachrichten über das Match, das nun endlich begonnen hatte. Schachanhänger und Schaulustige jeglichen Alters füllten die Veranstaltungshalle, um zu sehen, wie die weltbesten Schachspieler sich vor den Augen der Welt die Hände reichten und sich zur ersten Partie niederließen. Ein spezialangefertigter Schachtisch stand auf der Bühne, und die Zuschauer saßen in angemessener Entfernung unten in der
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