Duell: Island Krimi (German Edition)
Mick Jagger aufgekreuzt. Er wurde auch von ein paar Männern begleitet, aber er scherte sich überhaupt nicht um sie, sondern saß einfach in der Ecke mit einem kleinen Steckschach und war vollkommen in seine eigene Welt versunken.«
Zwei Männer in Alberts Alter standen fast gleichzeitig von ihren Tischen auf und gingen zu Spasski hinüber. Mit Servietten und Kugelschreibern bewaffnet gaben sie Spasski mit ihren Gesten zu verstehen, dass sie gerne ein Autogramm von ihm hätten. Spasski winkte sie heran. Er schrieb auf die Servietten und reichte sie den jungen Männern, die sich bei ihm bedankten. Andere trauten sich nicht, den Weltmeister zu belästigen. Guðný redete Albert zu, sich auch ein Autogramm zu holen, aber Albert sagte nur, wenn Spasski irgendwo auf der Welt den Luxus genießen könnte, in Ruhe gelassen zu werden, dann sei das in Island, am Rande der bewohnbaren Welt.
Haukur Morthens sang immer noch, und Carl Billich begleitete ihn. Albert und Guðný hatten ihre Mahlzeit beendet. Statt eines Desserts bestellten sie sich noch einen Alexander. Sie waren darauf bedacht, den Weltmeister und seine Begleitung nicht zu sehr mit Blicken zu belästigen, und stellten fest, wie sehr die anderen Gäste ebenfalls darum bemüht waren.
Aus den Augenwinkeln beobachtete Albert, dass der Mann, der sich nicht sicher gewesen war, wozu die Fingerschale mit Wasser gut sei, offensichtlich zu dem Ergebnis gekommen war, es handele sich um einen Softdrink zum Essen. Er nahm einen vorsichtigen Schluck.
»Meine Mutter hat manchmal von einem Verwandten erzählt, der Lungentuberkulose hatte«, sagte Guðný. »Er musste sich einer schrecklichen Operation unterziehen. Mama hat das Heraushauen genannt. Offiziell hieß das wohl Rippenresektion. Ihm wurden etliche Rippen entfernt, und die Lungen wurden mit irgendeiner Methode, die ich nie verstanden habe, zum Kollabieren gebracht. Entsetzlich, was manche Menschen leiden mussten.«
Sie nippte wieder an ihrem Cocktail.
»Und geholfen hat es ihm auch nicht. Er ist im Sanatorium in Vífilsstaðir gestorben. Mama sagte, dass er alles mit stoischer Gleichgültigkeit über sich ergehen ließ, er hatte sich nie große Hoffnungen gemacht.«
»Marian ist wahrscheinlich auch in dem Sanatorium gewesen.«
»So war es häufig bei denjenigen, die nichts als den Tod vor Augen hatten. Sie vernachlässigten sich und machten einfach nur noch, was sie wollten.«
Albert sah aus den Augenwinkeln wieder zu Spasski hinüber. Er hatte seine Mahlzeit beendet, und die Herren schickten sich an zu gehen. Auf der kleinen Bühne flüsterte Haukur Morthens dem Pianisten etwas zu, und Carl Billich spielte die einleitenden Töne zu den Moskauer Nächten . Albert sah, dass Spasski lächelte und aufhorchte, als die melancholische Melodie des russischen Liedes erklang. Haukur sang zunächst die isländische Übersetzung von Jónas Árnason, dann sang er auf Russisch weiter.
Ne slyschny w sadu dasche schorochi
Wsjo sdes samerlo do utra
Jesli b snali wy,
Kak mne dorogi
Podmoskownyje wetschera.
»Er hat in Moskau gesungen«, flüsterte Guðný, die ihre Augen nicht von Haukur Morthens abwenden konnte. Albert sah, wie Spasski dem Oberkellner die Hand reichte und sich höflich bedankte, und im nächsten Augenblick waren er und seine Begleitung verschwunden.
»Die Abende bei Mo-hos-kau«, summte Albert mit, während sich die Tür des Restaurants wieder schloss.
Dreizehn
Беломóрканáл oder Belomorkanal-Zigaretten kamen ab 1933 auf den Markt. Zu Ehren des ersten Großprojekts in Stalins Fünfjahresplan wurden die Zigaretten nach dem Weißmeer-Ostsee-Kanal benannt. Der 227 km lange Wasserweg führt über Seen, Flüsse und Kanäle von der Stadt Belomorsk am Weißen Meer im Norden bis zur Ostsee im Süden. Die künstlichen Abschnitte des Kanals wurden zum allergrößten Teil von Häftlingen aus den Belomor-Lagern gebaut. Es heißt, dass bei diesem gewaltigen Projekt an die 100000 Menschen ihr Leben gelassen haben.
Belomorkanal gehörten rasch zu den beliebtesten Zigaretten in der Sowjetunion, was nicht weiter verwunderlich war, denn während des Zweiten Weltkriegs gab es praktisch keine anderen. Es handelte sich um typische Papyrossi ohne Filter und mit reichlich Teergehalt. Sie hatten ein drei oder vier Zentimeter langes Pappmundstück, das in der Mitte überkreuz geknickt wurde.
»Russischer geht es wohl nicht«, sagte Marian Briem und setzte sich schwerfällig auf. Die Müdigkeit nach den
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