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Dünengrab

Dünengrab

Titel: Dünengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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Atemstillstand, Kreislaufzusammenbruch, Feierabend.
    Tjark nahm das Handy aus der Tasche und wählte die Nummer von Dr. Kevin Schröder. Endlich ging der Psychologe dran.
    »Ich habe meinen Termin verpasst«, sagte Tjark und starrte in die Sterne. »Mir ist etwas dazwischengekommen.«
    »Einige Leichen vermutlich. Ich habe es im Fernsehen gesehen und musste an Sie denken. Schreckliche Sache.«
    Tjark dachte an die zerschossenen Schädel. »Schrecklicher, als Sie annehmen, fürchte ich.«
    Schröder antwortete nicht. Sicher überlegte er gerade, ob er Tjark fragen sollte, wie er damit klarkam. Dass der Druck zu groß werden könnte und sich wieder ein defektes Ventil suchen würde. Aber er sagte: »Ich habe ein wenig über den Silver Surfer gelesen. Er hat seinen Planeten vor dem Weltenverschlinger Galactus gerettet. Dafür muss er dem Überwesen als Herold dienen und Planeten suchen, die Galactus’ Hunger stillen. Er trifft auf die Erde, wo er die hohen ethischen Werte der Menschen schätzen lernt, und kämpft gegen Galactus. Dieser verschont die Erde, verflucht aber den Surfer, sie nicht wieder verlassen zu können. Doch der Surfer wird niemals von den Menschen akzeptiert. Er bleibt ein Einzelgänger.«
    »Gut gemerkt.« Eine Sternschnuppe zischte durch das Dunkel. Vielleicht war es auch nur ein Satellit.
    »Der Surfer hat die Erde nicht über die Klinge springen lassen, weil die Menschen Liebe fühlen können. Ich muss sagen, dass ich diese Comicfigur für keineswegs so flach erachte, wie ich anfänglich dachte.«
    »Der Surfer ist ein Philosoph.«
    »Er pendelt zwischen Gut und Böse und sucht nichts anderes als Liebe und Vertrauen. Aber er ist zu verletzt, um das an sich heranzulassen. Er hat außerdem zu hohe Erwartungen und fühlt sich deswegen stets enttäuscht.«
    »Darf ich Sie etwas fragen?«
    »Natürlich.«
    »Was ist das Böse?«
    »Ich glaube«, antwortete Schröder, »es ist ein Trieb, eine Leidenschaft, die nur sich selbst kennt. Es ist stärker als die Umstände. Es ist deswegen so schwer zu fassen, weil es der Unwägbarkeit unterworfen ist. Ein Mensch hat die Freiheit, sich für das Böse zu entscheiden. Ein Tier kann das nicht.«
    »Glauben Sie, dass jemand aus purer Mordlust tötet?«
    »Nun, je schrecklicher eine Tat ist, desto weniger wollen wir, dass ein Täter dafür verantwortlich ist, und stempeln ihn deswegen gerne als krank ab. Weil etwas anderes zu beängstigend wäre. Andererseits hat alles Böse seinen Ursprung.«
    »Bei einigen Dingen bin ich mir da nicht so sicher.«
    »Dennoch muss man versuchen, das Böse zu bekämpfen. Manche Behandlungen greifen bei Gewalttätern erstaunlich gut.«
    »Aber nicht jede Chemotherapie«, sagte Tjark und starrte auf die Fassade der Klinik, »kann den Krebs besiegen. Sie macht ihn nur langsamer und verlängert damit das Leiden. Und am Ende stirbt man doch.«
    »Das stimmt. Aber wir dürfen nicht aufgeben. Es kommt immer auf einen Versuch an.«
    »Ja«, antwortete Tjark. »Das kommt es wohl.«
    Tjark verabschiedete sich. Er schnippte die Zigarette fort. Sie flog wie ein rotes Glühwürmchen durch die Luft und landete funkenstiebend auf dem weitgehend leeren Parkplatz. Tjark dachte, dass der Song von Johnny Fire zu dieser warmen Sommernacht passte wie Kräuterbutter zu einem Rumpsteak. Dann stieg er aus dem Wagen, um das Klinikum zu betreten.

32
    Tjark trat aus dem Fahrstuhl und hielt auf die Glastür zu. Seine Schritte hallten auf dem von Neonleuchten erhellten Flur. Es roch nach Putzmitteln, Urin und Altenheim. Hinter der Glastür, auf der »Station 22/Onkologie« stand, wurde es mit dem Geruch nicht besser. Dafür wich das blasse Grau einem warmen Orange. Am Tresen der Stationsleitung erklärte er der Nachtschwester, wer er war und was er wollte. Sie hörte ihm aufmerksam zu und nannte ihm eine Zimmernummer. Dort könne er warten.
    Das Zimmer 2265 war ein Einzelzimmer. Der Geruch nach Krankheit und verbrauchtem Atem war hier noch intensiver. Die Wände hatten Macken vom Rangieren der Krankenhausbetten. Tjark setzte sich auf die Matratzenkante eines solchen und starrte aus dem Fenster. Schließlich öffnete sich die Tür nach einem Klopfen, und ein Mann im weißen Kittel erschien. Er sah aus wie ein junger Assistenzarzt und sagte im Reinkommen, noch während er durch die Unterlagen blätterte: »Guten Abend, Herr Wolf.«
    »Guten Abend.«
    »So, dann schaue ich mir das mal an, bevor wir Ihnen einen Schmerztropf legen können. Wie stark ist der Schmerz

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