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Dünengrab

Dünengrab

Titel: Dünengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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einen Sekundenbruchteil war sie versucht, nachzugeben und es einfach geschehen zu lassen. Doch dann wand sie sich aus seinem Griff und drehte den Kopf weg. Sie stand mit einem Ruck auf und stieß dabei gegen ihr Glas. Es fiel um, kullerte über den Holzboden und vergoss den Rest Rioja auf den Planken.
    Femke stammelte. »Es ist besser, wenn ich jetzt gehe.«
    Ruven wischte sich durchs Gesicht und hob die Hände wie zu einer Beschwörung. »Tut mir leid«, sagte er leise. »Es ist einfach über mich gekommen. Ich wollte das nicht.«
    »Doch«, antwortete sie ebenso leise und griff nach ihren Turnschuhen, um sie im Stehen anzuziehen. »Doch, ich glaube, dass du das seit langem schon tun wolltest. Und es macht nichts. Es ist das, was du fühlst. Daran ist nichts schlecht. Es ist nur nicht das, was ich fühle.«
    Ruven sah aus wie ein kleiner Junge, der beim Süßigkeitenstibitzen erwischt worden war. Er sagte: »Vergiss bitte, was gerade geschehen ist.«
    Femke streckte die Hand aus und wuschelte ihm durch die Haare. »Schon geschehen«, hauchte sie mit einem versöhnlichen Lächeln, bevor sie von Bord ging, sich mit zitternden Händen den Helm aufsetzte, das Licht am Fahrrad einschaltete und durch die Dunkelheit nach Hause radelte.

30
    Mommsen ging mit raumgreifenden Schritten durch das Wohnzimmer und zog sich im Gehen die Krawatte ab. Seine Schritte hallten auf den Terrakottafliesen, mit denen die ans Brauhaus angeschlossene Villa ausgelegt war. Er passierte die Sitzlandschaft aus Leder, auf der seine Frau Aneta saß und unter einer Decke etwas verloren wirkte. Sie löste ein Kreuzworträtsel. Im Hintergrund flimmerte der Fernseher. Mommsen hielt auf die Hausbar zu, nahm eine Flasche Hennessy und goss den Cognacschwenker mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit halbvoll.
    Den größten Teil des Tages hatte er mit endlosen Telefonaten und Gesprächen mit Lieferanten verbracht. Es ging um die Einführung der neuen Marke »Werlesieler Fresh« – eines dieser Mixgetränke mit niedrigem Alkoholgehalt, das es in den Geschmacksrichtungen Lemon, Grapefruit, Orange und Litschi geben sollte. Nach Knut Mommsens Meinung schmeckten alle nach Pferdepisse mit einem Schuss Ahoj-Brause. Aber der Markt verlangte nun einmal danach. Außerdem hatte er drei Banken inklusive seiner Hausbank zu erläutern versucht, um wie viel die Markteinführung seine persönliche Kreditwürdigkeit und damit die der Projektentwicklungsgesellschaft heraufstufen würde, was die Hornochsen schließlich begriffen hatten. Dazwischen musste er sich immer wieder am Telefon verleugnen lassen, weil die zwei Pfeifen aus den Ratsfraktionen ihn dringend sprechen wollten – und das alles vor dem Hintergrund des äußerst unerquicklichen Gesprächs mit Fokko Broer gestern Abend, der nicht bereit gewesen war, auf Mommsens Vorschlag einzugehen. Was schlecht war. Äußerst schlecht sogar.
    Mommsen setzte das Glas an und trank es in einem Zug aus. Der Cognacgeschmack explodierte in seinem Mund. Im Magen breitete sich beruhigende Wärme aus. Verdammt, das war nötig. So nötig, dass Mommsen den Schwenker noch einmal füllte. Er leckte sich über die feuchten Lippen. Dann schlüpfte er aus den Lederslippern und ging zu Aneta rüber, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu drücken. Sie verzog das Gesicht und wedelte mit der Hand vor der Nase.
    »Puh, hast du Fahne«, sagte sie mit ihrem harten polnischen Akzent. Eine Fahne, dachte Mommsen, für die Aneta vor fünf Jahren in Warschau eine Woche lang hätte arbeiten müssen, um sie sich leisten zu können. Aber das sagte er nicht. Sie sah gut aus, ging ihm nicht auf die Nerven, hatte eine Bombenfigur und war phantastisch im Bett. Mommsen war damit zufrieden.
    Er fragte: »Wie war dein Tag?«
    Sie winkte ab. »So wie alle anderen auch.« Dann richtete sie sich aufgeregt auf und schlug die Beine unter: »Was du sagst zu schrecklichen Vorfälle?«
    »Vorfälle?« Mommsen setzte sich auf die Sofalehne, schwenkte den Cognac und nippte daran. »Was für Vorfälle?«
    Im Fernsehen fingen gerade die Nachrichten an. Wortlos nahm Aneta die Fernbedienung und zappte auf den Regionalkanal. »Das gibt es nicht, dass nichts du davon hast mitbekommen«, murmelte sie mehr zu sich selbst und stellte den Ton lauter.
    In den folgenden Minuten trank Mommsen keinen Schluck Hennessy mehr. Er regte sich kein Stück und hätte nicht darauf wetten mögen, dass er überhaupt noch atmete. Das Leben brach erst in dem Moment wieder über ihn herein, als die

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