Dünengrab
dachte er, dass du mich für einen Idioten hältst. Dann fragte er: »Gibt es in Werlesiel eine Löschgruppe der freiwilligen Feuerwehr?«
Femke legte den Kopf schief. Sie strich sich wieder mit dieser sexy Bewegung das Haar hinters Ohr. »Ja. Wozu?«
38
Der Aluminiumkorb reichte Tjark gerade mal bis zur Hüfte. Es gab einen Ruck, als er sich in Bewegung setzte. Er zitterte und klapperte metallisch im Wind, der konstant von der See her blies.
Tjark hielt sich fest und stieß mit der Schulter gegen Femke, die links neben ihm stand. Am Fuß der Drehleiter saß ein Feuerwehrmann, festgegurtet auf einem schwarzen Sitz, und bediente an einem Panel einige Drucktasten und eine Art Joystick, mit dem er die Leiter steuerte. Er sagte »Auf geht’s« und fuhr sie zügig in die Höhe. Tjarks Magen sackte ihm in die Kniekehlen. Nach etwa zwanzig Metern stoppte der Korb. Dann schwenkte er nach rechts, und gleichzeitig senkte sich die Plattform etwas ab, was einen weiteren Ruck nach sich zog und Tjark und Femke wieder zusammenstoßen ließ.
»Ist ja wie Karussellfahren!«, rief sie lachend gegen den brausenden Wind an, der Wattebauschwolken über den tiefblauen Himmel trieb. Tjark hatte Karussells noch nie gemocht, stimmte in ihr Lachen jedoch ein.
Mit einem weiteren Rucken stoppte der Korb mitten über dem Friedhof, den der Serienmörder zur Beseitigung seiner Opfer angelegt hatte. Sie schwebten nun in etwa zehn Metern Höhe. Links und rechts verlor sich der Küstenstreifen in der Ferne. Hinter ihnen lag das flache grüne Land, das vereinzelt von Kanälen durchzogen wurde. Vor ihnen erstreckte sich das Wattenmeer fast bis zum Horizont, wo es von den weißen Sandbänken und Dünen der Inseln begrenzt wurde. Es herrschte Niedrigwasser. Der Schlick war schwarz wie Teer. Vereinzelt glitzerten Wasserläufe in der Sonne. Es roch nach Salz und Tang. Weit entfernt fuhr eine orange-weiß leuchtende Fähre durch eine der ausgebaggerten Fahrrinnen. Möwen kreisten kreischend in der Luft.
»Warum hast du mich mitgenommen?« Femke sprach laut gegen den Wind an.
»Weil du dich hier auskennst.«
Tjark drehte sich um und deutete auf die Straße. Gerade rauschte ein zweiachsiger Lkw der Werlesieler Brauerei vorbei. »Die Küstenstraße wird täglich von einigen hundert Fahrzeugen befahren. Morgens, tagsüber, abends und nachts. Wenn ich hier mit meinem Wagen halten würde, könnte ich ihn nur auf dem Seitenstreifen abstellen. Jeder, der vorbeifährt, würde mich sehen oder mich dabei beobachten können, wie ich eine Leiche aus dem Kofferraum lade und sie durch die Gegend trage. Einen sechzig bis siebzig Kilo schweren Körper durch unwegsames Gelände zu schleppen ist Schwerarbeit. Mir wäre das zu riskant. Was würdest du tun?«
»Ein Boot nehmen. Bei Flut könnte ich relativ dicht ans Ufer fahren und in aller Ruhe und relativ unbeobachtet meinem Treiben nachgehen.«
Tjark versuchte, sich eine Zigarette anzuzünden. Nachdem es auch beim fünften Versuch nicht gelang, steckte er sie wieder weg. »Die Rechtsmedizin sagt, dass die Opfer ertrunken sind. Zumindest bei einer Leiche wurde verlässlich Salzwasser in den Lungen gefunden. Der Verdacht liegt nahe, dass die anderen ähnlich zu Tode kamen – ein Täter, ein Modus. Er hat alle Leichen an der gleichen Stelle vergraben. Er hat sie alle in identisches Material verpackt. Die Opfer waren mit Plastikbändern gefesselt. So arbeitet er. Tod durch Ertrinken könnte sich in deine Idee mit dem Boot einfügen – möglicherweise fährt er mit ihnen aufs Meer hinaus und wirft die Opfer ins Wasser. Er sieht ihnen beim Ertrinken zu. Dann zieht er sie wieder raus, wickelt sie an Bord in die Plane und fährt zu seinem Privatfriedhof.«
»Und die Kopfschüsse? Will er damit die Identifikation erschweren?«
»Wozu? Er geht ja nicht davon aus, dass man die Leichen findet.«
Femke schwieg. Sie schien nachzudenken.
Tjark erklärte: »Die Schüsse stammen aus einem Schrotgewehr aus nächster Nähe und gehören zunächst ebenfalls zur Handschrift. Ich denke nicht, dass er eine Identifizierung verhindern will. Er schießt den Opfern eher deswegen das Gesicht weg, um ihnen die Persönlichkeit zu nehmen. Das Problem ist: Wenn er sie auf See ertrinken lässt, wo schießt er ihnen in den Kopf? Er will ja nicht sein Boot perforieren.«
»Wenn er wieder an Land ist?«
Tjark schüttelte den Kopf. »Die Spusi hat nirgends entsprechende Hinweise gefunden. Die Planen sind zudem unbeschädigt. Die Schüsse
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