Dünengrab
brüllte wie ein Ochse.
»Stopp!«
Aus den Augenwinkeln nahm Tjark etwas wahr. Eine blonde Frau in Uniform stand vor ihm. Femke. Ihre Stimme überschlug sich.
»Wilhelm Leefmann!« Offenbar war das der Name des Mannes. »Wilhelm Leefmann! Sofort beruhigst du dich!«
»Der soll mich loslassen, oder …«
»… oder ich buchte dich ein«, fuhr sie fort, »und zeige dich an, denn das ist Tjark Wolf von der Kripo!«
Wie auf Knopfdruck ließ der Widerstand des Mannes nach. Tjark hörte ihn schwer atmen. »Sind wir alle wieder cool?«, fragte Tjark.
Leefmann nickte.
»Ich lasse Sie jetzt los, und wenn Sie eine dumme Bewegung machen, überlege ich mir das mit Ihrem Schultergelenk noch mal.«
Leefmann nickte erneut. Tjark ließ ihn los. »Verschwinde«, sagte er leise.
»Das hat ein Nachspiel«, antwortete Leefmann und rieb sich das Handgelenk. Sein Gesicht war so rot wie sein Nacken.
»Hau ab, Wilhelm!«, schnauzte Femke. »Und ihr anderen auch! Weg hier, das ist kein Zirkus!«
Einige zuckten zusammen, drehten sich sofort um und gingen ihrer Wege. Auch Wilhelm Leefmann – jedoch nicht, ohne Tjark noch einen bösen Blick zuzuwerfen.
»Meine Fresse«, hörte er Femke neben sich genervt sagen. Dann vernahm er, dass der Motorroller ansprang. Als Tjark sich umdrehte, fuhr Fokko Broer schon mit quietschenden Reifen davon. Tjark fasste in die Hosentasche, nahm eine Schachtel Zigaretten hervor und steckte sich eine an.
»Die Leute drehen langsam durch«, sagte Femke und klang etwas kraftlos dabei.
Tjark stieß den Rauch aus. »Ich finde, das geht vielmehr ziemlich schnell. Und es gefällt mir nicht.«
»Nein. Mir auch nicht. Es ist einfach schrecklich. Aber ich hatte …«
»… es gesagt, ja.«
Eine Böe kam auf und ließ Femkes Haare tanzen wie das gelbe Riedgras auf den Dünen. »Glaubst du, dass Fokko …«
»Was ich glaube, spielt keine Rolle. Vielleicht ist er zufällig in diese Sache geraten. Vielleicht aber auch nicht. Die Spuren in seiner Wohnung lassen sich unterschiedlich interpretieren, und es stellt sich die Frage, wie die Spuren von der Straße dazu passen könnten. Für eine Festnahme ist das alles viel zu vage, und wir haben nach wie vor ja nicht einmal ein Opfer und/oder einen Beleg für eine Straftat. Letztlich ist es aber so: Wir haben Vikkis Blut in Fokkos Wohnung gefunden, und deswegen ist und bleibt er ein heißer Kandidat.«
Femke sah kaum erleichtert aus. »Wie ist die Sache mit Harm gelaufen?« Während Tjark es ihr erzählte, fiel ihr Blick auf seinen rechten Arm, wo der Wind die tätowierten blauen Wogen anzupeitschen schien und die Gischt schäumen ließ. »Du bist ja tätowiert«, sagte Femke und ließ es wie eine Frage klingen.
»Präzise beobachtet«, antwortete Tjark mit einem Schmunzeln und sog am Filter. Bevor Femke nachhaken konnte, fragte er: »Also, was ist das mit dir und Fokko Broer?«
Femke schwieg und versuchte, einige Haarsträhnen zu bändigen und hinters Ohr zu streichen. Tjark mochte diese Geste.
»Du bist nicht nur deswegen so um ihn besorgt, weil du ein guter Mensch bist.«
Femke sah zum Himmel hinauf, wo sich eine bauschige Wolke vor die Sonne schob. Dann blickte sie wieder zu Tjark. »Ich habe das Gefühl, dass ich ihm etwas schuldig bin. Er hat damals sofort die richtigen Schlüsse gezogen, als das mit meiner Hand passiert war, und mich umgehend operieren lassen. Er hat mir das Leben gerettet.«
Tjark schnippte die Kippe weg. »Du bist sicher, dass da nicht mehr ist?«
»Wie meinst du das?« Femkes Augen funkelten angriffslustig.
»Es war nur eine Frage.«
»O nein, das war nicht nur eine Frage.« Femke machte auf dem Absatz kehrt. Dann schien sie es sich anders zu überlegen und drehte sich noch einmal um. »Du hast Wilhelm Leefmann eben sehr hart angefasst. Hat dir das Spaß gemacht?«
»Das war ebenfalls mehr als nur eine Frage.«
»Stimmt. Ich habe von dem Verfahren gegen dich gehört, und ich habe langsam das Gefühl, dass es dir wirklich Freude bereiten könnte, anderen Menschen weh zu tun – mit Taten und mit Worten. Ich …« Sie atmete tief ein und aus. »Ich hatte gedacht, dass du ganz anders wärst.«
»Die meisten Menschen«, sagte Tjark und schaute einigen vorbeifliegenden Möwen hinterher, »glauben, ich sei anders. Sie sehen das Buchcover und halten mich für kleiner, als ich bin. Ist eine Täuschung. Das hat mit der optischen Achse zu tun. Meine wirkliche Größe ist eine andere.«
»Dazu sage ich jetzt mal nichts.«
Besser so,
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