Dünengrab
Ihrer Sicht wollten Sie sie hingegen vor Unheil bewahren. Vielleicht drohte aber gar keines. Möglicherweise gab es ein Missverständnis, und …«
»Aber nein!« Broers Unterlippe vibrierte. Er schlug mit der Hand auf den Tisch. »Nein!«
»Was meinen Sie damit?« Tjark ließ den anderen Hemdsärmel folgen.
»Sie wollen doch nicht mich verdächtigen, dass ich …«
Tjark verschränkte die Hände auf dem Tisch. »Um ganz offen zu sein: Es gibt keinen Beleg dafür, dass Sie etwas mit Vikkis Verschwinden zu tun haben könnten. Es gibt aber auch keinen Beleg für das Gegenteil. Sie haben uns erzählt, dass Vikki Sie um Hilfe gebeten hat und vor Ihrer Haustür entführt worden ist.«
»So war es ja auch …«
»… und wir müssten Ihnen glauben, dass das stimmt. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte Ihnen lediglich Ihre Situation und unsere Probleme erläutern. Niemand hat den Vorfall beobachtet, niemand kann Ihre Version bezeugen, und die Spurenlage lässt sich auf die eine oder eben auf die andere Art und Weise interpretieren. Bei allem stelle ich mir die Frage: Wenn jemand Sie um Hilfe bittet, warum will er dann im nächsten Moment wieder fliehen? Und wie ausgeprägt muss Ihre Hilfsbereitschaft sein, wenn Sie diese Hilfe sogar körperlich durchsetzen wollen – eine Hilfe, gegen die der andere sich ebenfalls körperlich wehrt?«
Broer betrachtete seine Hände. »Sie stand unter Drogen oder sonst was«, sagte er heiser. »Sie war nicht sie selbst. Ich erkenne so etwas. Ich bin Arzt.«
Fred stellte klappernd seine Kaffeetasse ab. Er blätterte in einer Akte. »Sie waren Arzt – und da gab es mal diesen Missbrauchsvorwurf.«
»Es war eine Rufmordkampagne, und es haftet mir noch immer an. Alle Vorwürfe haben sich als haltlos erwiesen, doch sie haben ihren Zweck erfüllt und mich rundherum diskreditiert.«
Fred kommentierte die Aussage nicht weiter. »Die Spurensicherung hat sich Ihren Computer angesehen. Sie haben kurzfristig eine Menge Daten gelöscht.«
Broer starrte weiter auf die Hände.
Fred fuhr fort: »Wenn man Daten löscht, gelingt einem das niemals so ganz. Unsere Fachleute wissen, wie sie das wieder hinbiegen. Wir reden über Filme und Bilder aus dem Internet. Sie wissen, welche.« Fred klappte den Deckel wieder zu.
Broer zuckte mit den Achseln. »Das ist meine Privatsache. Und daran ist nichts illegal.«
»Der Besitz von Pornografie ist durchaus gesetzeswidrig. Zumal ich von acht Gigabyte an Material rede und von Downloads aus Foren und Portalen, die gegen Copyrights verstoßen. Können Sie uns erklären, warum Sie die Dateien gelöscht haben?«
»Weil ich nicht wollte, dass man sie findet.«
»Denn das würde Sie in Schwierigkeiten bringen. Weil man denken könnte: Hm, wer so viel Pornomaterial sammelt, mal wegen sexuellen Missbrauchs beschuldigt war, jetzt mit dieser Vikki-Situation zu tun hat, und dann sind da noch all diese Leichen …« Fred ließ den Satz offen ausklingen.
Broer hob den Kopf und sah ins Leere. »Ich denke, ich sage jetzt nichts mehr, sondern bespreche mich lieber mit meinem Anwalt.«
Tjark trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Okay, dachte er, Schluss jetzt. Aus Broer war nichts Neues mehr herauszuholen. Sie hatten ihm mächtig auf den Zahn gefühlt, und Broer hatte seine Aussage untermauert, dass Vikki nach seiner Einschätzung betrunken gewesen sei oder Drogen konsumiert habe. Dummerweise gaben die paar Blutspuren von der Straße und aus Broers Wohnung nicht genug her für ein toxikologisches Gutachten, um das zu bestätigen. Aber es würde Vikkis auffälliges Verhalten bei Broer durchaus erklären, wenn sie berauscht gewesen wäre – wovon auch immer. Es passte außerdem zu Fees Theorie von der Party, auf der sich die Opfer befunden haben könnten – vielleicht war auch Vikki auf einer solchen gewesen.
»Ich glaube nicht«, sagte Tjark, »dass ein Anwalt nötig sein wird. Aber natürlich steht Ihnen das frei. Ich danke Ihnen für Ihre bisherige freiwillige Kooperation – und was diese gelöschten Dateien angeht …«, Tjark sah Broer an, der seinen Blick hoffnungsvoll erwiderte, »… besitzen Sie ja sozusagen nicht mehr, was gelöscht ist. Vielleicht sieht das der Staatsanwalt ebenfalls so.«
Tjark stand auf, reichte Broer die Hand und verabschiedete sich. Nachdem der alte Mann den Raum verlassen hatte, sagte Fred: »Weichei Wolf.«
»Komm schon. Der Kerl ist kein Tatverdächtiger – das weißt du, das weiß ich, und dem geht der Arsch auf
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