Duenenmond
Dünen und der Strand gemalt, die Ostsee. Dann ist irgendwann der Bodden dran, und dann ziehen sie mit ihren Blöcken los und suchen nach Motiven, die nicht alle haben, nach besonderen Häusern oder Stillleben. Kein Winkel ist vor ihnen sicher. Und das gilt auch für Privatwege.« Er lachte. »Ich könnte mich amüsieren, wenn sie wie die Detektive hier herumschleichen. Du kannst an ihren Gesichtern sehen, dass sie glauben, sie hätten etwas entdeckt, das noch niemand vor ihnen gesehen hat. Irgendwann ziehen sie strahlend ab, und schon kommt der Nächste angeschlichen. Echt komisch! Als ob einer glaubt, er habe eine Erstbesteigung vorgenommen, und auf der anderen Seite des Gipfels steht schon ein Kiosk.«
Jo nahm einen Schluck. Wahrscheinlich hatte er recht. Ihr Vater hatte nichts mit diesem Haus zu tun, alles nur Zufall. So groß war diese Halbinsel schließlich nicht. Da hatte jeder irgendwann jeden Stein gemalt. Vor allem, wenn einer jedes Jahr mindestens vier Wochen hier verbrachte.
»Wer sich in der Malerei auskennt, ist tatsächlich ganz gezielt gekommen«, erzählte Jan weiter. »Hier steht zwar nirgends ein Schild, aber in der Szene weiß man natürlich, dass der Turm das Atelier meines Vaters ist.«
Jo gehörte eindeutig nicht zur Szene und hatte keine Ahnung, wer Jans Vater sein könnte, ob sie seinen Namen überhaupt schon gehört hatte. Sie traute sich nicht, danach zu fragen.
Nach einer Weile konnte sie ihre Neugier dann doch nicht im Zaum halten. »Lebt er denn auch hier? Dein Vater, meine ich.«
»Nicht mehr. Bis vor ungefähr zwei Jahren oder drei ist er immerhin noch für ein paar Wochen zum Malen auf den Darß gekommen. Aber jetzt war er lange nicht mehr da. Er schwirrt wahrscheinlich in London oder New York rum. Keine Ahnung …«
Jo fragte sich, was das für ein merkwürdiges Verhältnis zwischen Vater und Sohn war. Sie überlegte angestrengt, wie sie mehr über Jans Familienleben erfahren konnte, ohne taktlos oder aufdringlich zu wirken.
»Du hast noch nicht gegessen, hoffe ich«, wechselte Jan abrupt das Thema.
»Nein.«
»Gut.« Er stand auf. »Ich habe Pangasiusfilet für uns geholt. Du magst doch Fisch?«
»Ja. Kann ich dir helfen?«
»Nö, bleib einfach hier liegen.« Er beugte sich für einen schnellen Kuss zu ihr herunter, als er an ihr vorbeiging.
Dann war Jo allein. Sie überlegte, ob sie in die Küche gehen und ihm Gesellschaft leisten sollte. Oder sie könnte sich die Bücher im Wohnzimmer in aller Ruhe ansehen. Vielleicht verrieten sie etwas über den geheimnisvollen Maler, der Jans Vater war. Sie tat nichts von beidem, sondern schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Geräusche und Gerüche des Sommers. Sie versuchte, sich den Moment intensiv einzuprägen.Vielleicht konnte sie ihn zurück in Hamburg in ihren Gedanken wiederbeleben, wenn es wieder einmal hoch her ging. Ein Stückchen Darß-Entspannung zum Mitnehmen, gewissermaßen.
Sie erwachte, als etwas Feuchtes ihre Hand berührte. Verwirrt öffnete Jo die Augen. Max stand schwanzwedelnd vor ihr.
»Hey«, flüsterte sie und streichelte ihm über den Kopf.
Jan saß ihr gegenüber auf einem der Gartenstühle. Der Tisch war bereits gedeckt, und jetzt nahm Jo auch einen Duft von Kräutern und gebratenem Fisch wahr.
»Ich muss wohl eingeschlafen sein«, erklärte sie überflüssigerweise. »Warum hast du mich nicht geweckt?«
»Du hast doch Urlaub. Ich habe angenommen, du brauchst den Schlaf. Außerdem hätte ich dich jetzt geweckt, wenn Max mit seiner feuchten Nase mir nicht zuvorgekommen wäre. Das Essen ist nämlich fertig.«
»Mmhh, das riecht man. Da läuft einem ja das Wasser im Mund zusammen.«
»Dann kann’s ja losgehen.« Er stand auf, verschwand im Haus und kam kurz darauf mit einer Platte wieder, auf der Fischstücke und Gemüse lagen. Der Fisch hatte weißes Fleisch, das knusprig braun angebraten war. Das Gemüse war mit frischen Kräutern bestreut und mit Butter übergossen. Er füllte ihren Teller.
»Guten Appetit.«
»Danke.« Sie probierte. »Kompliment«, sagte sie, »du kochst gut!«
»Überrascht?«
»Na ja, ein bisschen schon«, gestand Jo.
»Das Eis mache ich doch auch selbst.«
Sie nickte. Sie wollte auf keinen Fall, dass er schon wieder der Meinung war, sie würde ihm nichts zutrauen.
»Pangasius«, sagte sie darum schnell, »nicht gerade typisch für die gute alte Ostsee, was?«
»Tja, leider schwimmt hier nicht mehr viel rum«, seufzte er und schob sich eine Gabel in den Mund.
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