Duenenmord
bin ich davon ausgegangen, dass er von meinem besonderen Zwiespalt nichts wusste und es bedauerte, dass ich nicht zur 84er-Gruppe gehören wollte – aus Angst, aus Angepasstheit, wie auch immer. Aber sein letzter Blick in meine Augen war so seltsam wach und mitfühlend …« Heise brach ab. »Er ist gestürzt und über den Rand des Hafenbeckens gerutscht. Ich konnte ihn nicht festhalten. Unsere Hände waren glitschig, wir waren müde und schwach. Es war niemand sonst in der Nähe. Das Letzte, was er sagte, war, dass sein Vater ein mieses Arschloch sei. Dann ist er gefallen. Er ist mit dem Kopf auf eine Kante geschlagen und war sofort tot.« Heise wandte das Gesicht ab.
Die Stille war drückend. Der Augenblick fühlt sich wahr an, dachte Romy, ein eindringliches Gefühl, das sie ausgerechnet beim Verhör mit einem ehemaligen Stasispitzel kaum erwartet hätte.
»Und was hatte es mit Rostock auf sich?«, schaltete Kasper sich wieder ein.
»Ich bin am Ende gewesen. Sie befürchteten, ich könnte in meiner Verfassung zuviel reden … Im Grunde hatten sie mich längst fallengelassen. Ich war nicht wirklich zu gebrauchen, schon gar nicht in einer kritischen Situation. Aber die Angst vor den alten Geistern ist immer noch präsent.«
»Und warum sind Sie nach Rügen zurückgekehrt?«
»Sie werden es nicht glauben, Kommissar Schneider – ich mag die Insel, immer noch, trotz allem, aber den Ausschlag gab meine Frau. Als wir überlegten, uns mit einer Sicherheitsfirma selbstständig zu machen, war sie sofort Feuer und Flamme und schwärmte von Rügen. Hinzu kam unsere Tauchbegeisterung.« Er hob die Hände. »Ich hatte keine überzeugenden Einwände, denn natürlich weiß sie nichts von meiner … Vorgeschichte.«
Natürlich nicht, dachte Romy. »Lassen Sie uns noch mal auf Monika Sänger zurückkommen, die Ihnen mehrere Mails geschrieben und sogar angerufen hat. Sie ließ sich nicht abwimmeln.«
»Richtig. Meine kurze telefonische Erklärung, es habe einen Unfall gegeben, hat ihr nicht genügt. Sie wollte sich mit mir treffen, um ausführlich über alles zu reden, aber das habe ich abgelehnt.«
»Und dann?«
Er zögerte. »Sagen wir so – sie erweckte den Eindruck, eine ganze Menge zu wissen, auch über ihren Vater, und an der Stelle konnte es für mich gefährlich werden, selbst nach dreißig Jahren. Mit einem Stasi-Stempel lebt es sich nicht gut, egal, wie alt der ist, den werden Sie nie los. Natürlich irritierte mich ihre Hartnäckigkeit, und ich entschloss mich, sie ein bisschen im Auge zu behalten … Ich bin ihr hin und wieder gefolgt. Es beruhigte mich zu wissen und zu sehen, was sie tat oder auch nicht tat. Es gab mir irgendwie das Gefühl, die Kontrolle zurückzugewinnen, ein wenig zumindest.«
»Sind Sie ihr an dem Abend auch gefolgt?«, fragte Romy.
»Ich bin ihr zunächst zur Prora gefolgt und von da aus nach Putbus ins Hotel gefahren, wo ich einen geschäftlichen Termin hatte, wie Sie ja wissen«, bestätigte Heise.
»Sie haben einen Peilsender an ihrem Wagen angebracht«, mutmaßte Kasper.
»Einen GPS-Tracker«, konkretisierte Heise bereitwillig. »Ich konnte ihre Route verfolgen und habe mich auf den Weg gemacht, während meine Leute zwischenzeitlich die Hotelinspektion ohne mich durchführten. Das fiel nicht sonderlich auf. Die entsprechenden Peil- und Sendedaten habe ich anschließend natürlich gelöscht, unwiderruflich gelöscht. Ansonsten kann ich mich nur wiederholen – Monika Sänger war weit und breit nicht zu sehen, und ich habe die Gelegenheitgenutzt, mich in den Besitz des Notebooks zu bringen. Das war alles.«
»Okay – und wieviel wusste Monika?« Romy schoss die Frage schnell ab und behielt den Mann sehr genau im Auge.
»Interessant waren die Fotos, die sie eingescannt hatte, der Brief der Mutter mit dem Hinweis auf mich und ihr starker Verdacht gegen ihren Vater, der sie ziemlich aufgewühlt hat – verständlicherweise«, berichtete Heise. »Sie war ziemlich erbost, dass er sich weigerte, ihre Fragen zu beantworten und schloss daraus, dass an der Unfallgeschichte etwas faul war und er davon wusste. Das Verhältnis der beiden wirkte jedoch in all diesen Schilderungen grundsätzlich angespannt.«
»Was genau meinen Sie damit?«
»Ich glaube, sie hielt ihren Vater ganz allgemein für einen Tyrannen, wenn ich das mal so sagen darf – das klang an einigen Stellen durch, ohne dass ich hier tatsächlich wörtlich zitieren kann.«
»Das ist schade.«
Heise nickte mit angedeutetem
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