Duenenmord
solcher Mails? Und wo sollten sie danach suchen? Die Nachrichten auf dem Speicherstick, die Romy aus der Kita mitgebracht hatte, wiesen auf nichts hin, was für den Fall relevant war, aber selbstverständlich musste nun auch der PC untersucht werden, um gelöschte Vorgänge zu begutachten. Es war nicht auszuschließen, dass Wassernixe auch an Sängers Kita-Mailadresse Nachrichten verschickt hatte, die diese selbstredend gelöscht haben dürfte.
Max setzte sich wieder und notierte eilig seine Gedanken. Dann sah er die restlichen Mails durch, ohne weitere vergleichbare Schreiben zu entdecken, und wandte sich den wiederhergestellten Kurznachrichten vom Handy zu – ohne Gewähr auf Vollständigkeit, wie der IT-Mann anmerkte. Einige Dutzend Mitteilungen beschäftigten Max lediglich ein paar Minuten, dann wurde er fündig.
Zwei Textmitteilungen stammten von Wassernixe: Ignoranz wird Ihnen nicht weiterhelfen , lautete die erste. Darauf hatte Monika Sänger geantwortet: Lassen Sie uns reden. Die dritte SMS war identisch mit dem Wortlaut der Kurznachricht, die Monika Sänger vor wenigen Tagen zum Tatort geführt hatte: Donnerstag, 19 Uhr, am Südstrand von Rügen. Sie wissen wo. Der einzige Unterschied bestand darin, dass sie auch vom Oktober stammte. Somit konnte man davon ausgehen, dass bereits ein Treffen stattgefunden hatte oder zumindest die Verabredung dafür.
Max schüttelte verblüfft den Kopf. Er überlegte nur kurz, bevor er sich entschloss, Romy aus dem Bett zu klingeln. Sie brauchte keine fünf Sekunden, um wach zu werden.
»Was ist denn das für eine Scheiße?«, murmelte sie, nachdem Max ihr die Texte zweimal vorgelesen hatte.
Einen Moment lang glaubte er, sie förmlich vor sich zu sehen – wie sie sich hektisch durch die Locken fuhr und auf und ab ging. »Ja, klingt derbe, oder? Ich dachte, es wäre gut, wenn du sofort Bescheid weißt …«
»Ja, natürlich. Schreib eine To-do-Liste, damit wir morgen früh gleich loslegen können, und geh dann ein paar Stunden schlafen. Ich werde das Gleiche tun.«
»Alles klar. Bis …«
»Ach, warte mal. Der Heise erwähnte vorhin, dass die Sänger auch ein Mailprogramm auf ihrem Netbook hatte«, erörterte Romy. »Das Teil hatte sie seit, ja, Oktober … Hm. Sie könnte Mails auch dort abgerufen haben, damit ihr Mann nicht zufälligerweise eine solche Nachricht auf dem gemeinsamen PC liest.«
Max nickte vor sich hin. »Verstehe – angesichts des drohenden Tons konnte sie ihre Mailadresse auch nicht einfach sperren oder ändern. Ich werde bei den IT-Leuten nachhaken, welche Accounts sie benutzte.«
»Gut, alles Weitere dann ab morgen früh.« Es klickte in der Leitung.
Max warf lediglich einen flüchtigen Blick in die winterliche Nacht, um sich zu entschließen, das Gästebett aufzuschlagen, das er für solche Notfälle hinterm Wandschrank im Besprechungsraum verstaut hatte. Eine Rückfahrt nach Stralsund wäre unter diesen Witterungsbedingungen der reinste Irrsinn. Auf die Dusche musste er verzichten, aber Zahnbürste und Wechselwäsche lagen bereit.
Romy wachte um fünf Uhr auf. Sie hatte allenfalls drei Stunden geschlafen und den Rest der Nacht damit verbracht, sich herumzuwälzen und wirre Träume abzuwehren. Die Welt draußen bot ein stilles und friedliches Bild. Es schneite mitsanfter Stetigkeit. Romy ging unter die heiße Dusche und trank dann zwei Tassen Espresso mit viel Zucker. Spiegelland, Spiegelland, was spiegelt sich in deiner Hand? Was sollte das bedeuten? War es das, wonach es klang? Die böse Gier in Ihren Augen. Projekt kleine Mädchen. Weg von Kindern. Stellen Sie sich.
Während Monika Sänger dem Tod ihres Bruders nachgeforscht und Gott und die Welt im Verdacht gehabt hatte, sich des Verrats und möglicherweise eines Verbrechens schuldig gemacht zu haben, war sie selbst in den Fokus eines Menschen geraten, der etwas von ihr wusste. Oder zu wissen glaubte. Wer war Bella Wassernixe? Tatsächlich eine Frau? Und wessen genau beschuldigte sie Monika – des Verrats, der Passivität oder des aktiven Missbrauchs? Möglicherweise von allem etwas?
Romy hatte vor Jahren in München bei der Sitte gearbeitet. Sie war nicht ohne Grund zur Mordkommission gewechselt. In die starren Augen eines missbrauchten Kindes zu schauen hatte immer ein erschütterndes Echo ausgelöst – lauter und nachhaltiger, als es eine Leiche vermochte, deren Blick erkaltet und frei von Schmerz und Erinnerung war.
Um kurz nach sechs rief sie Kasper an, der sofort ans Telefon
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