Duenenmord
Wagen. Er öffnete die Wagentür, als sie hinter ihm anhielt und ausstieg, und seine Miene war sorgenvoll. »Wie gehen wir vor?«, fragte er und musterte sie länger als sonst.
»So behutsam wie möglich«, erwiderte Romy. »Es geht zunächst um eine Überprüfung. Sobald es eng wird, raten wir ihr, einen Anwalt hinzuziehen.«
Kasper nickte. »Es gibt Festnahmen, die möchte man nicht machen«, grummelte er. »Und ich hoffe, dass uns die erspart bleibt. Vielleicht war ja doch alles ganz anders.«
Romy wollte gerade die Hand zur Klingel ausstrecken, als die Haustür aufschwang. Silke Kronwald war eine große, hagere Frau mit dunkelgrünen Augen und schulterlangem Haar in verwaschenem Blond. Laut ihrer Personendaten war sie in Romys Alter, wirkte aber älter als Mitte dreißig. Obwohl sie einen dicken Rollkragenpullover trug und ein warmer Luftstrom aus dem Hausinnern zu spüren war, machte sie einen verfrorenen Eindruck.
»Frau Kronwald? Silke Kronwald?«
»Ja, die bin ich. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?« Die Stimme war angenehm voll und dunkel.
»Ja, vielleicht.« Romy stellte Kasper und sich vor und beobachtete Kronwalds Miene. Sie zuckte zwar zusammen, aber das bedeutete natürlich noch gar nichts. »Wir ermitteln in einem Mordfall und haben auch an Sie einige Fragen. Hätten Sie ein paar Minuten Zeit für uns?«
Die Frau zögerte nur eine Sekunde, dann nickte sie. »Ja, kommen Sie doch bitte herein.«
Die Frau ging durch eine holzgetäfelte Diele voran in ein Wohnzimmer, von dem Romy schon immer geträumt hatte: Panoramafenster, die einen unverstellten Blick auf die Landschaft boten, ein knisterndes Kaminfeuer, freiliegende Dachbalken,wuchtige Bauernmöbel. »Sie haben es wunderschön hier«, bemerkte sie bewundernd.
Silke Kronwald lächelte, und ihr Gesicht wurde deutlich weicher. »Danke. Ich habe das Haus in eigener Regie umgebaut und sehr viel selbst gemacht. Setzen wir uns an den Esstisch?«
Kaspers Blick schweifte durchs Zimmer, während er Platz nahm. Romy wollte ihr Heft zücken, entschied sich dann aber dagegen. »Frau Kronwald, vielleicht haben Sie davon gehört, dass die Polizei Ende letzter Woche eine Frauenleiche am Strand von Göhren gefunden hat«, kam sie zügig zur Sache.
Silke Kronwald nickte. »Ja, ich habe davon gehört. Das hat sich herumgesprochen.«
»Die Frau ist ermordet worden, und wenn wir richtig informiert sind, außerdem eine alte Bekannte von Ihnen.«
»Monika Sänger«, bestätigte Kronwald sofort völlig unaufgeregt. »Sie war Kindergärtnerin in Bergen, in einer Kita, die ich in den achtziger Jahren auch besuchte. Ich kannte sie allerdings noch unter ihrem anderen Namen – Barendsen.«
»Nach den ersten Ermittlungen müssen wir davon ausgehen, dass sie von jemandem ermordet wurde, der allen Grund hatte, sie zu hassen«, fuhr Romy fort.
Kronwalds Miene blieb unbewegt, aber ihre Pupillen hatten sich für einen Augenblick abrupt geweitet.
»Es ist unseren Kriminaltechnikern gelungen, gelöschte SMS-Nachrichten und Mails wiederherzustellen, aus denen abgeleitet werden kann, dass Monika sich mit ihrem Mörder getroffen hat, wahrscheinlich sogar mehrfach – und dass es sich um eine Person handelt, die sehr viel über sie wusste, speziell über ihre Art, mit Kindern umzugehen«, erläuterte Romy in ruhigem Tonfall. »Diese Person nennt sich Bella Wassernixe.«
Kronwald hielt einen Moment die Luft an.
»Können Sie uns mehr dazu sagen?«
Silke Kronwald überlegte sehr lange. »Wie sind Sie auf mich gekommen?«, fragte sie schließlich und atmete tief aus. Erleichtert.
Romy tat es ihr gleich. Kasper legte seine Hände auf den Tisch.
»Wir haben sehr intensiv in den Kitas nachgeforscht, in denen Monika beschäftigt war, und sind einigen auffälligen Ereignissen nachgegangen«, fasste Romy die Recherchen der letzten Tage zusammen.
»Und dabei fiel mein Name?«
»Ja. Es fiel auch der Name von Jurek Stolte.«
Kronwald legte eine Hand auf den Mund.
»Möchten Sie einen Anwalt hinzuziehen?«, fragte Romy.
Sie schüttelte sofort den Kopf. »Nein, das ist nicht nötig.«
»Aber …«
»Nein, wirklich nicht«, wehrte Kronwald ab. »Es musste wohl so kommen. Ich werde die Verantwortung übernehmen, vielleicht ist das der einzige Weg … Ja, ich habe die Mails geschrieben, ich habe Monika dazu genötigt, sich mit mir zu treffen, und ich habe sie während eines Streits … erschlagen.«
»Erschlagen? Das müssen wir genauer wissen. Was haben Sie getan am letzten
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