Duenenmord
glauben. Sie wusste selbst, dass dieser Wunsch alles andere als professionell war, aber sie konnte sich nicht von ihm lösen, und sie war überzeugt davon, dass es Kasper ganz ähnlich ging.
Und falls die Frau die Wahrheit sagte, war entweder noch eine weitere Person am Tatort gewesen oder Stefan Heise hatte gelogen und die Szene beobachtet, um dann die Gunst der Stunde zu nutzen. Romy stöhnte innerlich auf.
Kasper hatte das Tonband bereits ausgeschaltet, und Silke Kronwald war im Begriff aufzustehen, als Romy plötzlich die Kindersandale wieder durch den Kopf schoss. »Am 6. Juli 89, am Tag des Strandfestes verschwand der kleine Jurek spurlos«, ergriff sie übergangslos das Wort. »Können Sie sich an die Einzelheiten erinnern?«
Kronwald sah sie nur einen Moment verdutzt an. »Ichkonnte mich bis vor kurzem an den gesamten Tag überhaupt nicht erinnern. Aber jetzt ist alles wieder aufgetaucht.« Sie blinzelte. »Fast alles, meine ich. Jurek war irgendwann einfach weg. Alle fingen an zu suchen und nach ihm zu rufen. Es war eine unglaubliche Hektik, ein Durcheinander, eine große Panik.«
»Wo war Monika?«
»Sie hat mitgesucht, und ich … war … abwesend, wie betäubt. Ich habe gar nicht richtig verstanden, was passiert war. Plötzlich war die Polizei da, Suchhunde, Boote.« Sie rieb sich mit beiden Händen die Schläfen. »Ich mochte den Jungen sehr und er mich. Letztens habe ich seine Mutter besucht. Sie hat ihm eine kleine Gedenkstätte im Garten an seinem Lieblingsspielplatz errichtet … aber eigentlich ist sie der Meinung, dass sie ans Hünengrab im Mönchguter Forst gehört.«
»Wieso das?«
»Jurek interessierte sich ganz außerordentlich für das Herzogsgrab. Es war seit Wochen sein Steckenpferd«, erläuterte Kronwald. »Er redete dauernd darüber, zeichnete, bastelte, spielte Archäologe und so weiter. Einige waren schon richtig genervt davon.« Ein zartes Lächeln flog über ihr Gesicht. »Jedenfalls ist es vom Südstrand nicht allzu weit bis dahin, und seine Mutter hielt es für möglich, dass er alleine dorthin gewandert sein könnte.«
»Der Suchtrupp hat auch das Gebiet weiträumig abgesucht«, fügte Kasper, an Romy gewandt, hinzu. »Das habe ich der Akte entnommen und im Gespräch mit dem Leiter des Einsatzes heute früh gleich überprüft.«
Sie haben nichts gefunden, wiederholte Romy stumm. Monika ist noch mal weggefahren, hatte sie plötzlich Poschkes Stimme im Ohr. Silke Kronwald erhob sich langsam, Romy nickte ihr abwesend zu, und Kasper brachte sie zur Tür, wo sie von einem Beamten zur erkennungsdienstlichen Behandlung abgeholt wurde.
»Was beschäftigt dich?«, fragte der Kollege, als sie allein waren. »Traust du ihr nicht? War ich zu voreilig?« Er kratzte sich im Nacken. »Ich werde mit den Kollegen in Putbus reden und darum bitten, dass regelmäßig ein Wagen in Schabernack vorbeifährt, obwohl ich nicht glaube, dass die Frau fliehen wird, ob sie es nun war oder nicht. Die Kraft hat sie gar nicht, und wir können sie regelmäßig anrufen oder … Romy?«
Sie drehte ihm das Gesicht zu. »Monika Sänger hat das Kind im Wagen versteckt, in ihrem Wagen. Spät in der Nacht ist sie zum Herzogsgrab rausgefahren, wo bereits alles abgesucht worden war. So konnte sie sicher sein, dass die Polizei dort nicht noch einmal suchen würde. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass sie den Kleinen dort vergraben hat.«
Kasper starrte sie entsetzt an. »O Gott, ja, so könnte es gewesen sein. Und nun? Die Böden sind steinhart gefroren. Eine weiträumige Suche …«
»Ich weiß. Sobald es taut, lassen wir dort suchen.«
»Falls wir die Aktion durchkriegen.«
Romy zog die Brauen zusammen. »Verlass dich drauf! Und wenn ich selbst zur Schaufel greifen muss!«
Dazu sagte Kasper nichts. Romy sortierte ihre Gedanken, es blieb ihr gar nichts anderes übrig: Das aktuelle Geschehen hatte Vorrang und entwickelte sich zu einem echten Sisyphus-Fall. Immer wenn ein Täter in greifbare Nähe gerückt war, tauchten überzeugende Gegenargumente auf, die einen neuen oder doch zusätzlichen Ermittlungsansatz erforderten.
»Kann es sein, dass wir erneut bei Null stehen?«, ergriff Kasper endlich mit müder Stimme das Wort.
»Das würde ich nicht sagen, aber wenn wir davon ausgehen, dass Silke Kronwald die Wahrheit sagt und Monika zwar niedergeschlagen, aber nicht in Tötungsabsicht ans Wasser geschleift hat …« Sie strich sich die Locken zurück. »Tja, dann kommt Heise doch noch mal ins Spiel, ob
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