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Duenne Haut - Kriminalroman

Duenne Haut - Kriminalroman

Titel: Duenne Haut - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kabelka
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zählt?“
    „Messerscharf deduziert, Herr Chefinspektor! Ich hab’s eher mit dem alten Hussein, dem Ahnherrn der Schiiten. Aber nicht, weil er sich so edel niedermetzeln ließ mit seinen zweiundsiebzig Getreuen, sondern weil er gesagt haben soll: Wenn ihr keinen Glauben habt, dann seid zumindest Freidenker. Wenn das Zitat wirklich von ihm stammt, nenn ich das eine ausnahmsweise weise Erkenntnis eines Religionsgründers.“
    Die Ankunft ihres Essens beendet vorübergehend das Gespräch. Dass ihm der Schweinebraten in Dunkelbiersauce fast auf der Zunge zergeht, muss auch der schwermütige Prader eingestehen. Zwecks besserer Verdauung wechselt man danach vom Bier zum Wein. Der Müller Thurgau von den Meersburger Sonnenhängen, den ihnen der Sepp viertelliterweise hinstellt, enttäuscht sie nicht. Auch nicht nach dem dritten Glas.
    „Hast du eigentlich Kinder?“, will Prader unvermittelt wissen. Hagen vermeint erstmals eine kleine Unsauberkeit in der Artikulation des Kabarettisten festzustellen.
    „Soviel ich weiß, nein. Und du?“
    Prader nickt. „Ich weiß von einem. Bernhard heißt er. Zu Weihnachten wird er fünfzehn.“
    „Und?“, fragt Hagen. „Was treibt er so? Geht noch in die Schule, nehm ich an?“
    „Na ja, hauptsächlich ist er mit Pubertieren beschäftigt. Und viel sehe ich ihn nicht gerade, weil er bei seiner Mutter lebt, die wiederum nicht bei mir lebt. Letztes Jahr hat sie mir eine neue Matratze gekauft. Damit ich im Wohnzimmer schlafe. Da hab ich die Matratze lieber gleich in eine neue Wohnung gebracht.“
    „Ich verstehe.
No woman, no cry
.“
    „Ich fürchte, da verstehst du den guten Bob Marley etwas miss.
No woman, no cry
bedeutet in Jamaika
Nein, Frau, weine nicht –
und nicht, dass es einem ohne Frau besser geht! Aber dieses Missverständnis ist so weit verbreitet, dass es mittlerweile zur einzig gültigen Auffassung geworden ist. Was beweist, dass die Kraft des Faktischen stärker ist als Schwer- und Fliehkraft zusammen. Egal, ob uns das passt oder nicht: Die Welt ist alles, was der Fall ist. Eine Erkenntnis, Verehrtester, die sich die größten Philosophen mit uns armen Würsteln teilen. Schließlich ist ein jeder primär sein eigener Fall, wie du schon einmal sehr richtig festgestellt hast.“
    Hagen ist sich nicht sicher, ob er Praders Gedankengängen noch ganz folgen kann. Aber dass er von ihm zitiert wird, lässt seinen Stolz doch ein wenig wachsen. Vielleicht ist es auch nur der Alkohol, der sein Selbstbewusstsein hebt, wer will das schon sauber unterscheiden.
    „Du bist also geschieden?“
    „Nein. War leider nicht möglich.“
    „Zu hohe Geldforderungen?“
    „Ach wo! Weil wir nie verheiratet waren, deswegen. Die längste Zeit haben wir uns weiß Gott was eingebildet auf unsere wilde Ehe. Dass man einander aber nach fünfzehn Jahren – egal, ob mit oder ohne Trauschein – einfach deswegen sekkiert, um sich nicht so zu fadisieren, hat uns vorher keiner verraten. Meine Definition von
zivilisiert
: So nennt man Paare, die es schaffen, jahrzehntelang im selben Bett zu liegen, ohne sich zu lieben, ohne sich noch etwas zu sagen zu haben – und ohne sich gegenseitig umzubringen!“
    Sie stoßen zum fünften oder sechsten Mal an. Das Klingen der Gläser dient längst schon dazu, irgendeine blaudunstige Erkenntnis zu besiegeln. Hagen spürt, wie der Nebel immer mehr in sein Oberstübchen einsickert.
    „Ich glaub, wir sollten langsam ans Gehen denken, Ernst.“
    „Geh, Tone, glaub nix! Das mit dem Glauben ist nämlich urkompliziert. Ich hab dazu ein fast zweistündiges Programm geschrieben, aber den Durchblick hab ich deswegen noch immer nicht. Pass auf!“
    Prader wirft sich in Pose. Mit der ausgestreckten Linken und der Rechten auf Herzhöhe sieht er aus wie ein vergammelter Startenor. Die Melodie meint Hagen schon einmal gehört zu haben.
    „Die einen sehn im Gottesglaub’n,
    den Grund aller Malaise,
    die andern sag’n: Wenn’s ihn nicht gibt,
    dann ist doch alles Käse.
    Und während sie so diskutier’n
    in ihrem dunklen Gangerl,
    spielt Gott in aller Seelenruh’
    mit’m Teufel wieder Fangerl.“
    „Sehr schön“, stoppt ihn Hagen, weil er bemerkt hat, wie die anderen Gäste schon zu ihnen herüberschauen, „wenn auch ziemlich triste. Klingt wie ein echtes Wienerlied.“
    „Ist es auch. Im Original heißt es
Das Krüppellied
. Ich hab den Text halt ein bisschen aktualisiert.“
    „Ist das wirklich deine Philosophie? Dass Gott mit uns nur Fangen

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