Duenne Haut - Kriminalroman
von sich aus ein. Wie er das macht, trägt allerdings ganz und gar nicht dazu bei, die Stimmung zu heben. Er jammert und schimpft über Gott und die Welt und wirft mit lateinischen und griechischen Phrasen um sich, was allgemeines Gähnen auslöst. Dr. Mickl merkt, dass ihr die Situation zu entgleiten droht. Dann machen wir halt aus der Not eine Tugend, beschließt sie. Lassen wir den Egomanen sich austoben. Betont freundlich greift sie Laubs letztes Zitat auf:
„Würden Sie der Gruppe bitte erklären, Wolfgang, was
Homo homini lupus
eigentlich bedeutet. Ich bin nicht sicher, ob alle hier in der lateinischen Sprache so sattelfest sind wie Sie.“
„Das ist ja eben die Krux“, ereifert sich der Oberstudienrat, „kein Mensch interessiert sich mehr für humanistische Bildung! Wissen Sie, wann ich das letzte Mal Griechisch unterrichtet habe? Vor fünfzehn Jahren! Kein Bedarf mehr, hat die Schulleitung beschlossen, panta rhei. Und selbst in Latein werden die Stunden gekürzt – an einem humanistischen Gymnasium! Dafür hat man Türkisch als zweite Fremdsprache eingeführt. Türkisch statt Altgriechisch! So weit sind wir bereits! Principiis obsta, hat uns Cicero gelehrt, wehret den Anfängen! Aber was heißt Anfänge! Heutzutage geben die Mullahs in deutschen Landen ja bereits den Ton an.“
„Ja ja, der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.“ Es ist Prader, der es wagt, dem Schulmeister Kontra zu geben. „Ich finde es nur witzig, wenn ausgerechnet unser Wölfchen das sagt.“ Leises Lachen in der Gruppe.
„Ich verbiete mir dieses Diminutiv!“, schimpft Laub. Dass das Gekicher dadurch nur noch lauter wird, bringt ihn sichtlich auf die Palme.
„Ihr findet diese gesellschaftliche Entwicklung, will heißen, diesen Kulturverfall, wohl auch noch witzig, wie! Keine Kultur, aber Multikulti! Minarette, höher als unsere Kirchtürme. Und anstatt die Gefahr einzudämmen, legen wir noch Hand an beim Ausheben des eigenen Grabes. Es ist eine Schande, jawohl, das ist es!“
Während Dr. Mickl sich überlegt, wie sie Laub vom Politisieren abbringen könnte, macht sich Hagen über die Suada des Lehrers seine eigenen Gedanken. Auch in Vorarlberg ist das Thema Moscheenbau in der öffentlichen Agenda angekommen, wird laut über Gesetzesänderungen nachgedacht. Wie würde er entscheiden, wenn er etwas zu reden hätte? Für oder wider Minarette? Er spürt, dass sich in ihm ein seltsamer Zwiespalt zwischen rationalen Argumenten und seinem Gefühl auftut. Laubs Kirchtürme sind gewiss nicht die seinen, zu lange schon ist er aus der Kirche ausgetreten. Und dennoch rührt ihn diese Frage mehr an, als er sich gedacht hätte. Aber wie kann ein Minarett in seiner unchristlichen Seele zum Stachel werden? Ist er nicht ein Verfechter der kulturellen Vielfalt oder, schlichter gesagt: Schmecken ihm Döner, Pizza und Dal nicht längst besser als Käsknöpfle und Riebel? Und was die Lufthoheit von Kreuz und Halbmond angeht, hat er sich doch immer als halbwegs aufgeklärt betrachtet und alle Religionen aus einer entspannten Distanz heraus akzeptiert. Als ein Phänomen der jeweiligen Geschichte beziehungsweise – wenn er wirklich ehrlich wäre und es laut aussprechen würde, was sich im katholischen Ländle in seiner Position natürlich nicht empfiehlt – als ein notwendiges Übel. Und jetzt dieses Schwanken. Offenbar ist der Unterschied zwischen Hirn und Herz doch größer als gedacht.
Die Therapeutin hat ihre liebe Not damit, den Kanal zu wechseln.
„Ich möchte, dass wir uns jetzt wieder auf unsere Gefühle zentrieren, Wolfgang. Hören Sie doch mal in sich hinein und fragen Sie sich, was Ihnen in dieser Angelegenheit so zusetzt. Und für die anderen wäre es vielleicht angezeigt, Wolfgang zurückzumelden, wo wir seine offenkundigen Ängste und auch Aggressionen teilen können und wo nicht.“
„Was heißt Ängste, Aggressionen!“, fährt Laub hoch. „Ich ärgere mich eben über effektive Missstände, das ist alles! Über falsche Prioritäten, die heutzutage …“
Mickl unterbricht ihn. „Lassen wir die große Gesellschaft mal außen vor. Bleiben Sie bitte bei sich und Ihren eigenen Empfindungen.“
„Ja, Herrgott noch einmal, ist denn das so schwer zu begreifen!“, ruft Laub, „unsere Gesellschaft nicht vor die Hunde gehen zu lassen, genau das ist doch mein Bedürfnis! Den Werteverfall hintanzuhalten, unsere christlich-abendländische Kultur zu verteidigen – ist das etwa nichts?“
„Wie seinerzeit in Stalingrad“, murmelt
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