Duenne Haut - Kriminalroman
das erste und auch nicht das letzte Mal, dass Sie so in Rage gerieten, nicht wahr?“
„Stimmt“, sagt sie, „aber das letzte Mal ist schon lange her.“
Von wegen, denkt er. Gerade mal eine Woche. Auf diesem Teppich hast du es deutlich genug demonstriert. Kannst du dich wirklich nicht mehr daran erinnern?
Aber während er sie aus den Augenwinkeln betrachtet, plagt ihn eine ganz andere Frage: Was, zum Teufel, hattest du in meinem Zimmer verloren?
*
Es geht zäh voran. Sie benimmt sich recht manierlich. Wenn sie tatsächlich Aggressionen gegen ihn hegen sollte, versteht sie es jedenfalls ausgezeichnet, sie zu verbergen.
Zwischendurch bittet ihn der Oberarzt kurz zu sich auf den Gang hinaus. „Bleibt es beim Termin morgen?“, will er von ihm wissen.
„Welcher Termin?“
„Auf dem Tennisplatz. Sie hatten doch gemeint …“
„Ach das! Na selbstverständlich spielen wir morgen! Punkt vierzehn Uhr. Betrachten Sie sich bereits als geschlagen, Selzer!“
Als er ins Zimmer zurückkommt, fällt ihm auf, wie rot ihre Wangen sind. Vermutlich ist sie in Gedanken schon bei ihrem neuen Lover, von dem sie in vagen Andeutungen gesprochen hat. Auch ihre Jacke hat sie bereits angezogen. Er blickt auf die Uhr: Tatsächlich, die Stunde ist zu Ende, und er hat es immer noch nicht aus ihr herausgekitzelt. Also dann: Trick E. Vielfach angewandt, meistens von Erfolg gekrönt.
E
wie emotionale Überrumpelung.
„Sollten Sie am Wochenende eine depressive Episode haben, bin ich natürlich für Sie da. Sie wissen ja, wo Sie mich finden können, oder?“
Ihre Reaktion lässt nicht darauf schließen, ob sie etwas von seiner Ärztewohnung in Block B weiß und ihre genaue Lage kennt. Aber wie gut sie zu bluffen versteht, hat er ja schon am eigenen Leib erfahren. Er beschließt, den Frontalangriff zu riskieren.
„Ich bin sehr froh, dass wir nach unserem – sagen wir – etwas verunglückten Einstieg so schnell eine gemeinsame Basis gefunden haben, Marie Therese.“
„Ich auch.“ Sie steht auf und streckt ihm die Hand hin, offensichtlich hat sie seine Worte als Verabschiedung betrachtet. Aber er bittet sie, sich noch einmal zu setzen.
„Die anderen Ärzte und Therapeuten berichten mir neuerdings Ähnliches, Ihre Verhaltensänderung ist bei allen sehr positiv angekommen, wirklich. Durch die Bank wurde mir bestätigt, dass Sie sich Ratschlägen gegenüber öffnen und nicht mehr so aggressiv auf Ihrem Standpunkt beharren. Vertrauen und Kooperation zwischen Arzt und Patienten sind wohl das Um und Auf in der Therapie. Auch wenn rückhaltlose Offenheit manchmal schmerzen mag. Das verstehen Sie doch?“
Sie nickt, aber ihr aufkeimendes Misstrauen ist nicht zu übersehen.
„Gut. Und darum möchte ich Ihnen jetzt noch eine letzte Frage stellen, Marie Therese. Überlegen Sie sich Ihre Antwort bitte gut! Sie könnte ein Gradmesser sein für unsere weitere Zusammenarbeit, an der Ihnen ja ebenso viel liegt wie mir. Nicht wahr?“
Die Runzeln auf ihrer Stirn vertiefen sich. Es dauert eine ganze Weile, bevor sie sich zu einem neuerlichen Nicken durchringt.
„Ausgezeichnet.“ Jetzt ist es an ihm, eine Kunstpause einzulegen. Er nimmt seine Brille ab und lässt sie bedeutungsvoll zwischen Zeigefinger und Daumen hin- und herpendeln. Seine Augen fixieren sie wie metallene Fesseln.
„Ausgezeichnet“, wiederholt er. „Dann verraten Sie mir jetzt bitte, was Sie vorgestern Nacht in meinem Schlafzimmer zu suchen hatten.“
25 D AS M ATCH
Punkt vierzehn Uhr. Der Oberarzt ist schon beim Aufwärmen, als Sachs in lupenrein weißem Outfit den Platz betritt. So viel Weiß hat man selbst in Wimbledon lange nicht mehr gesehen.
„Gut gespeist, Selzer?“
„Danke, ja.“
Typisch Selzer, urteilt Sachs, kein Talent zur Konversation. Heute wirkt der Kollege noch eine Nuance spröder als gewöhnlich, aber der Chefarzt lässt sich davon nicht die gute Laune verderben. Er ist endlich wieder einmal ordentlich ausgeschlafen und überhaupt sehr aufgeräumt. Nicht nur wegen des prächtigen Wetters und der Aussicht auf ein gemütliches Spielchen auf einem neuen Court.
Die Geschichte mit dem unbekannten nächtlichen Besuch in seinem Schlafzimmer hat er gestern Nachmittag ja auf eindrucksvolle Weise geklärt. Und erfuhr dadurch gleich eine zweifache Bestätigung: Erstens hat sich gezeigt, dass er sich auf seine Nase verlassen kann, in jeder Hinsicht. Er hatte das Parfum richtig identifiziert und Marie Therese im passenden Moment die Daumenschrauben
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