Duenne Haut - Kriminalroman
männlicher Patienten auf sich zieht.
Hagen verlässt das Gebäude durch den Haupteingang, spaziert vorbei an der überdachten Raucherecke, wo ein paar ältere Herrschaften ihrer Sucht frönen, und wählt außerhalb deren Hörweite die Berliner Nummer. Er hat sofort den Richtigen an der Strippe.
„Erster Kriminalhauptkommissar Bühle“, meldet sich die knarzige Stimme des Dezernatsleiters, „wat wünschn Se?“
„Dich“, sagt Hagen und nennt seinen Namen. Heinz Bühle freut sich, wieder einmal von seinem Vorarlberger Kollegen zu hören, und trauert jenem Gastgeschenk nach, das Hagens Mitarbeiter Werner Winder nach Berlin mitbrachte, als er dort für einen Monat hospitierte.
„Mensch, det war der schmackeste Sliwowitz, der mir je über de Lippen jekommn is, wat! Sowat findste in janz Berlin nich, weeste det!“
„Obstler“, korrigiert ihn Hagen, „Werner hat dir zwei Liter Obstler mitgebracht, aus der hauseigenen Produktion von Lukas Gfader, meiner rechten Hand. Rechtlich vielleicht nicht ganz astrein, die Gfader’sche Schnapsbrennerei – aber umso lupenreiner in der Qualität.“
Darin sind sich der Deutsche und der Österreicher absolut einig. Man tauscht Erinnerungen an den Dezember 2004 aus, als wegen Winders Hospitation auch die Gruppenleiter Bühle und Hagen Kontakte knüpften. Nicht besonders enge, aber um sein Anliegen an ihn heranzutragen, dafür sollte es wohl reichen, spekuliert Hagen. Im Berliner Dezernat scheint momentan wenig los zu sein. Bühle erkundigt sich nicht etwa nach dem Zweck von Hagens Anruf, sondern will wissen, welche Aufführung der kommenden Schubertiade ihm der Vorarlberger empfehlen könne. Hagen gesteht, dass er auf kaum einem Gebiet inkompetenter sei als in Sachen Oper.
„Wat denn für ne Oper, man? Mir quatschen hier von solchn Kammerjonzertn un Liederabnde, vastehste?“
Eins zu eins. Hagen akzeptiert, dass seine Bemerkung ein ebensolcher Fauxpas war wie zuvor Bühles Verwechslung von Sliwowitz und Obstler. Als schließlich doch noch die Rede darauf kommt, wie es in den jeweiligen Abteilungen so läuft, gesteht Hagen ein, wo er sich gerade aufhält.
„Tja, de Nerven, wat“, meint Bühle mitfühlend, „jenau jenommn bräucht ick och so wat wie ne Auszeit, sag ick dir! Abba du wirst mir doch nich anjerufen habn, weil dir indr Jlinik de Decke offn Kopp jefallen is, wat?“
Hagen verneint. „Ich hätte da ein halbprivates Anliegen an dich, Heinz. Sagen wir, ich bräuchte so etwas wie eine kleine Information, die nicht über die offiziellen Kanäle geht. Weil ich doch derzeit außer Dienst bin. Denkst du, dass du das für mich tun könntest, ohne Probleme zu kriegen – von wegen grenzüberschreitender Amtshilfe und so?“
Bühle findet Hagens Skrupel amüsant. „Wenn det nich mehr jeht, sag ick dir, jehe ick och ausm Dienst, wa! Un wat soll da dran jrenzüberschreitnd sin. Du bist doch och offn bundsdeutschn Jebiet, oder wie oder wat?“
Nachdem Hagen ihm die nötigen Informationen durchgegeben hat, verspricht der Berliner, ihn so bald wie möglich zurückzurufen.
Es beginnt zu tröpfeln, und Hagen kehrt wieder ins Haus zurück. Das Wetter erinnert ihn daran, dass er sich in der ersten Woche nichts sehnlicher gewünscht hat, als zurückzukehren in den herbstlichen Dauerregen des Rheintals, der alles so herrlich einebnet, verhüllt unter seinem gnädigen grauen Mantel… Fort mit den Spitzen und Stacheln, die einem die Seelenklempner hier ständig ins Hirn treiben. Aber nach den Erfahrungen der letzten Tage fühlt er sich aufgeräumter, tatkräftiger. Immerhin hat er eben eine Aktion gesetzt und nicht nur gewartet, dass sich die Dinge von selbst klären. Mal sehen, Tone, vielleicht wohnt doch noch ein zündender Funke in dir, gibt es jenseits der Fünfzig doch noch ein Diesseits?
Seine Gedanken mäandern in Richtung Abend. Damenbesuche auf dem Zimmer sind zwar laut Klinikordnung verboten – nur wer, bitte, will das bei erwachsenen Menschen kontrollieren?
Noch eine Stunde bis zur Musiktherapie. Soll er sich im Forum einen Kaffee genehmigen? Aber dort brütet jetzt sicher Prader wieder über einem Matt in drei, und er verspürt nicht die mindeste Lust, schon wieder in dessen Probleme hineingezogen zu werden – in keinerlei Hinsicht. Das stachlige Kinn, an dem er nachdenklich herumzupft, weist ihm den Weg: Es wäre vermutlich kein Fehler, die Rasur nachzuholen, die er am Morgen vergessen hat. Nein, nicht vergessen: bewusst unterlassen. Fernab von
Weitere Kostenlose Bücher