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Duenne Haut - Kriminalroman

Duenne Haut - Kriminalroman

Titel: Duenne Haut - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kabelka
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Vorgesetzten und jeder bürokratischen Etikette gönnt man sich diese kleinen Schlampereien mitunter. Nun ja, heute ist die Sachlage ein bisschen anders …
    Während er sich im Bad hingebungsvoll seinen Bartstoppeln widmet, rückt eine kleine Spinne in sein Blickfeld. Üblicherweise würde er keine Sekunde zögern, sie zu massakrieren – seine Abneigung gegen die ekeligen Sechsbeiner muss erblich bedingt sein, schon Hagen senior hatte die harmloseste Spinne gefährlicher eingestuft als jede Giftschlange und sie dementsprechend behandelt. Die Söhne sind dem väterlichen Beispiel gefolgt und haben ihr gesamtes sadistisches Potenzial ausgespielt, sobald sie eines Vertreters dieser Gattung ansichtig wurden. Doch diesmal reagiert Hagen anders. Statt es zu zerstampfen, nimmt er das Tier vorsichtig mit der Plastikabdeckung seines Rasierapparats hoch, um es durch das gekippte Fenster hinauszubefördern. Die Spinne versucht die Flucht auf eigene Faust und landet im offenen Abflussloch des Waschbeckens, wo sie der Wasserstrahl augenblicklich hinabschwemmt in den tödlichen Schlund der Kanalisation. Hagens Schuldbewusstsein hält sich in Grenzen. Im Grunde ist ohnehin der selige Bruno dafür verantwortlich, befindet er. Der frühere österreichische Bundeskanzler, in Energiefragen generell nicht sehr firm, hatte seinen Landsmännern unter dem Eindruck der ersten Ölkrise allen Ernstes empfohlen, sich lieber nass zu rasieren, um Strom zu sparen. Als einer der wenigen gestandenen Sozialdemokraten in Vorarlberg folgte Hagen tatsächlich dem Appell, ließ beim Rasieren aber ständig das Wasser laufen, was zwar Schaum und Haare ordentlich entsorgte, dem Energiespargedanken allerdings diametral zuwiderlief. Diese verschwenderische Unsitte hat er bis heute beibehalten, obwohl er längst auf einen Elektrorasierer umgestiegen ist. Aber so spielt es eben, das Leben: Eine dumme, scheinbar harmlose Angewohnheit wird mitunter der unschuldigen Kreatur zum Verhängnis …
    Hagen wechselt vom Waschbecken zur Kloschüssel, um seine Toilette zu Ende zu bringen. Während er so dasteht, die Füße schön parallel, die Knie leicht gebeugt, die Oberschenkelmuskulatur angespannt und sich der ungetrübten Strahlkraft erfreut, mit der sich seine Blase noch zu entleeren vermag, kommt ihm plötzlich eine seltsame Frage: Warum hat er es nie fertiggebracht, Mutter danach zu fragen, ob sie Vater einmal, irgendwann einmal, tatsächlich geliebt habe, mit ihm, Tone, als dem lustvoll gewollten, nicht nur biologisch bedingten Ergebnis? Wollust – so heißt es doch nicht von ungefähr, oder? Wieso traut ein Sohn sich nicht, der Mutter zu Lebzeiten mit den paar wesentlichen Dingen zu kommen? Ein halbes Jahrhundert lang sitzen wir einander gegenüber, aber diese Frage unterbleibt. Wird verschoben, wieder und wieder. Denn die Gelegenheit, sie ist nie ideal, was heißt ideal, nicht einmal halbwegs passend, und die familiäre Harmonie, die es eh nie gegeben hat, zu wichtig, um sich einmal nur hinauszulehnen. Bis sie, die als Einzige eine Antwort geben hätte können, wie Vater auch die Stiefmütterchen von unten anschaut und sich alles erledigt hat. Selbst wenn Mutter einem solchen Übergriff begegnet wäre mit einer ihrer typischen Gegenfragen –
spinnscht jetzt, wieso söttn mir üs denn net gern g’ha ha, din Vatr und i?
– oder beleidigt geschwiegen hätte: Er könnte heute von sich behaupten, ein Mal wenigstens auf den Punkt gekommen zu sein ihr gegenüber, der Welt gegenüber, sich selbst gegenüber.
    Sein Handy klingelt und der Name Bühle erscheint auf dem Display.
    „Hallo Heinz“, meldet sich Hagen. „Das nenne ich prompte Arbeit.“
    „Allet jut“, sagt Bühle, „bei juns ticken de Juhren nu ma andert als südlich von de Weißwurstäquader. Haste wat zum Mitschreiben bei dich?“

24 D UFTSPUREN
    „Darf ich mich bewegen?“
    Bitte sehr, signalisiert seine Geste, der ganze Raum steht Ihnen zur Verfügung!
    Marie Therese nutzt aber ausschließlich die freie Fläche zwischen Schreibtisch und Sitzgruppe, wo der Perser liegt. Auf dem sie ihn in der ersten Stunde einigermaßen gefordert hat. Wie sie den Teppich abmisst mit ihren Schritten und an den Rändern umkehrt, als markierten sie das Ende der Welt, drängt sich einem das berühmte Rilke-Gedicht vom Panther förmlich auf. Dr. Sachs entgeht keine ihrer Bewegungen. Die dritte Einzeltherapie bereits innerhalb einer Woche, so kann das natürlich nicht weitergehen. Wo doch eine Sitzung pro Woche der

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