Duenne Haut - Kriminalroman
Ravensburg, mit der er es besonders leicht hatte: Birgit, nein, Brigitte Bardel, schon aufgrund ihres gewaltigen Busens und der blonden Mähne eine Konkurrenz zur echten BB. Zweifellos gäbe es noch einige weitere zu erinnern – Sachs und Sex, das ging schon immer gut zusammen. Bislang ist ihm niemand in die Quere gekommen deswegen. Das wird auch Selzer nicht schaffen, trotz seines heutigen Aufwinds. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Und ein einmaliger Sieg keinen Siegertyp.
„ … könnte man sich vorstellen, dass Sie mich einfach ruhigstellen wollten.“
Ist das wirklich O-Ton Selzer? So direkt hat ihn keiner je angegriffen!
„Ruhigstellen? Verehrter Kollege, ich kann Ihnen nicht ganz folgen!“
„Der Beschützer, der dem Beschützten für alle Zeiten den Wind aus den Segeln nimmt. Eine tadellose Taktik, in der Tat! Sie hat ja auch bis heute funktioniert.“
Sie wird auch weiterhin funktionieren, denkt Sachs.
„Jetzt machen Sie sich mal keine unnötigen Sorgen, Selzer! Kommen Sie, ich lade Sie auf einen Drink ein.“
„Nein, danke. Ich bin verabredet.“
„Also schön. In dem Fall – bis zur Teamsitzung.“
„Ja, bis dann.“
Eine scharfe Drehung, und Selzer verschwindet in einer Umkleidekabine. Säuerlich lächelt Sachs seinem Oberarzt hinterdrein.
*
Die Gänge sind wie ausgestorben, wie immer am Samstagnachmittag. Anders als sonst federt er diesmal nicht die Treppe hinauf, sondern gönnt sich einen gemächlichen Aufstieg. Muss sich eingestehen, dass ihn das Match doch mehr mitgenommen hat, als er zuerst dachte. Er sperrt sein Sprechzimmer auf, nimmt am riesigen Mahagonischreibtisch Platz und greift sich die Ringmappe mit Marie Thereses Krankengeschichte. Überblättert Befunde und Diagnosen, allgemeine, biografische und klinische Anamnese; überspringt Verhaltensanalyse, Medikation und angewandte Therapiemethoden und kommt zu guter Letzt zum Deckblatt jenes Kapitels, das ihn im Moment interessiert:
Aktueller Behandlungsverlauf / Dekurse Psychotherapie
.
Das gibt es doch nicht! Er flucht und geht die Mappe nochmals von hinten nach vorne durch. Das Ergebnis bleibt dasselbe: Die Aufzeichnungen sind verschwunden. Auf mindestens drei Seiten beliefen sie sich mittlerweile, darauf könnte er schwören. Es kommt schon etwas zusammen, wenn alle Involvierten in dieses therapeutische Logbuch ihre Eintragungen machen. Alleine von ihm stammt eine komplette Seite.
Stammte!
Nach dem dritten Durchblättern schleudert er die Krankengeschichte zornig von sich, hebt sie nicht einmal vom Boden auf. Er überlegt, wann er die Mappe das letzte Mal aufgeschlagen hat. Vor der gestrigen Sitzung? Nein. Er hatte wohl vorgehabt, sich auf den aktuellen Stand zu bringen, aber ein Anruf kam dazwischen. Wie auch immer: Die Mappe lag während der gesamten Therapie hier auf seinem Schreibtisch.
Marie Therese! Hat sie sich tatsächlich selbst bedient? In den paar Minuten womöglich, als er sich mit Selzer draußen unterhielt? Und wenn ja – wozu?
Er wird es herausfinden. Er findet immer alles heraus. Aber langsam beginnt ihn diese Grenzgängerin echt zu nerven. Höchste Zeit, sie loszuwerden!
Sachs schiebt seine Lesebrille ins Futteral zurück, dann löscht er das Licht.
Den Schlüssel dreht er jetzt lieber zweimal um.
26 M AMA DA!
Hagen geht nervös im Zimmer auf und ab. Die behördliche Darstellung aus Berlin unterscheidet sich doch gewaltig von dem, was er aus dem Mund von Marie Therese erfahren hat. So ziemlich genau um hundertachtzig Grad.
Klaus Kell, Exmann von Marie Therese Herbst und Vater von René und Barbara, ersucht keine zwei Monate nach der Scheidung das zuständige Jugendamt erstmals um ein Eingreifen, weil er sich um die gemeinsamen Kinder sorgt, die zunächst bei der Mutter wohnen. Sie bringt die beiden nicht mehr in die Kindertagesstätte, überlässt sie oft tagelang sich selbst. Die Folge: äußerliche Verwahrlosung, Mangelernährung und Geschrei, das die Nachbarn auf den Plan ruft. Der Vater kann die Kleinen zu den vereinbarten Zeiten zumeist nicht abholen, es öffnet einfach niemand die Wohnungstür. Immer häufiger muss die Behörde einschreiten. Marie Therese schluckt, wie sich herausstellt, in rauen Mengen Tabletten und lässt sie offen in der Wohnung herumliegen. Einer geregelten Arbeit geht sie nicht mehr nach, finanziell ist sie dank der großzügigen Unterhaltszahlungen Kells aber gut versorgt. Er gibt an, einen früheren Selbstmordversuch von Marie Therese bei der
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