Duerers Haende
ihres Vaters gewesen. Die kann jetzt nach seinem Tod schnell und grundlegend revidiert werden. Wenn nämlich der neue Familienvorstand, der neue Mann an der Spitze der Shengalis, der Meinung ist, das gehört sich nicht, hat sich’s für Solin ausgebrezelt. Er allein wird darüber befinden. Dem haben sich beide, Solin genau wie ihre Mutter, zu fügen.«
Als sie die Fahrertür öffnete, zitierte sie Mahmud Khavari, einen Bekannten ihres Freundes Gerhard Hohenstein, der in dessen Wirtshaus manchmal bediente und ihr gegenüber stets die Liebenswürdigkeit und Aufmerksamkeit in Person war. »Frauen sollen sich bedecken wie die Raben. Andernfalls erwarten sie im Jenseits strenge Strafen.« Ob ihm damit ernst oder ob das ironisch gemeint war, konnte sie nicht mit Bestimmtheit sagen, so gut kannte sie ihn nicht. Aber es hatte sie seltsam berührt, wie ein leiser Vorwurf an alle Frauen, sie eingeschlossen, als er ihr das an den Kopf warf. Eine junge hübsche Frau in Hotpants und High Heels war der Auslöser gewesen.
»Wer sagt das?«
»Das steht im Koran.«
»Nach dem Islam darf eine Frau in Gegenwart eines fremden Mannes nicht einmal den Schleier abnehmen«, ergänzte Eva Brunner. Ihrem Ton war deutlich anzumerken, wie wenig sie das billigte. »Und genauso wenig hätte Ihnen Frau Shengali die Hand geben dürfen, wenn Sie jetzt ein Mann gewesen wären. Wenn Frau Shengali eine hundertprozentige Muslimin ist. Was sie offenbar ist.«
»Ja? Das wusste ich nicht.«
Es stimmt schon, dachte sie, was die Politiker sagen, die Integration funktioniert, wenn überhaupt, über die Kinder. Über Kinder wie Solin. Vielleicht hat das Mädchen Glück und bekommt einen männlichen Ersatz für ihren Vater, der seiner würdig ist. Und wenn nicht, dann hat die aufgebrezelte, mürrische, pubertierende Solin hoffentlich genügend Renitenz und Aufsässigkeit im Leib, um ihren eigenen Weg zu gehen. Ihre Vorstellungen durchzusetzen. Die nach dieser wilden Phase der Auflehnung etwas dezenter ausfallen dürften. Das wäre eine ästhetische Wohltat für die Umwelt der Solin Shengali. Sie wandte sich ihrer Kollegin zu.
»Was halten Sie davon, wenn wir uns Shengalis Arbeitgeber anschauen?«
Statt einer Antwort ließ sich Eva Brunner die Adresse der Spedition über Funk mitteilen. Frey-Trans hatte seinen Sitz in der Donaustraße, im Süden Nürnbergs, direkt am Main-Donau-Kanal.
Das von Südwesttangente und Frankenschnellweg eingeschlossene Stadtviertel Maiach zählte für Paula Steiner zu den hässlichsten Gegenden Nürnbergs. Schon der Weg dahin war eine triste Angelegenheit. Sie fuhren die Katzwanger Straße stadtauswärts, Getränkeläden, Billig-Discounter und schmucklose, schäbige Siedlungshäuser bestimmten das Bild. Es roch nach Provinz, nach Vorstadt. Erst in der Hafenstraße, nach einem dürftig bewaldeten Niemandsland, verlor sich das Unansehnlich-Banale dieser Monotonie und bekam einen frischen Beigeschmack von Weite und Welt, was vom Kanal herrührte.
Sie parkte vor einem eingezäunten Grundstück, auf dem ein rostiger Wohnwagen seinen letzten Tagen entgegendämmerte.
»Die Spedition ist aber weiter hinten.«
»Ich weiß. Doch so können wir uns noch ein wenig die Füße vertreten. Außerdem möchte ich vorher noch eine Zigarette rauchen.«
Als sie vor dem Haupteingang der Spedition angekommen waren, blieb Paula Steiner stehen. Das Schiebetor stand weit offen, auf dem Hof war niemand zu sehen. Sie blickte sich um, wollte sich ein Bild machen von dem Arbeitsplatz des Abdulaziz Shengali. Da kam ihnen ein älterer Mann – gut über die sechzig, weißer Haarkranz, graue Strickjacke, ausgebeulte braune Stoffhose – entgegengeeilt.
»Na endlich, ich warte schon seit drei Stunden auf Sie.«
»Auf uns?«
»Sie sind doch vom Jakobsplatz«, sie nickte, »von der Fahndungsstelle?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, wir sind von der Mordkommission.«
»Aber ich habe doch … Mordkommission, sagen Sie?«
»Ja, Paula Steiner und Eva Brunner von der Mordkommission. Sie sind der Inhaber von Frey-Trans?«
Er nickte. »Ja, Siegfried Frey. Einer von zwei Inhabern. Ich habe die Firma gegründet, führe sie aber seit ein paar Jahren zusammen mit meinem Sohn Joachim.«
»Haben Sie ein Büro, wo wir uns setzen können?«
Frey führte sie um das schlichte, mit Wellblech verkleidete Gebäude auf die rückwärtige Seite. Hier konnte man auf den Kanal und seine Frachtschiffe sehen.
Freys Büro war vollgepackt mit schweren klobigen
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