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Duerers Haende

Duerers Haende

Titel: Duerers Haende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Kirsch
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gelben Schein geholt und würde auch die nächsten Wochen verschollen bleiben.
    »Jetzt warten wir erst mal ab, wann Herr Bartels hier wieder auftaucht. Bis dahin gehört sein Schreibtisch Ihnen. Und wenn er wieder da ist, dann wird uns schon was einfallen. Nun zu etwas anderem. Heute um halb zehn kommt Frau Shengali, leider in Begleitung ihres Neffen, Herrn Eshaya. Ich möchte mit der Witwe allein sprechen. Also müssen wir Herrn Eshaya in der Zwischenzeit anderweitig sinnvoll beschäftigen. Ich dachte, Sie knöpfen ihn sich währenddessen vor.«
    Eva Brunners Gesicht leuchtete für einen kurzen Moment auf, die Freude über das Vertrauen ihrer Vorgesetzten brachte es regelrecht zum Strahlen. Doch dann sah man, wie ihr Zweifel kamen, ob sie dieser großen Verantwortung auch gerecht werden könne. Sie sah Paula Steiner ernst und ängstlich an.
    »Ich habe noch nie allein eine Vernehmung geführt. Ich weiß nicht, ob ich das kann.«
    »Das können Sie. Da bin ich mir sicher. Schreiben Sie sich ein paar Fragen auf, an denen Sie sich zur Not entlanghangeln. Und lassen Sie Eshaya reden. So wie ich den am Telefon kennengelernt habe, ist das jemand, der gern und viel redet.« Und insofern, fügte sie in Gedanken hinzu, passt ihr zwei hervorragend zusammen. Das wird bestimmt eine angeregte Plauderstunde.
    Die nächste halbe Stunde hörte man von Heinrichs Schreibtisch keinen Ton. Diese Ruhe genoss sie. Sie sah zum Fenster und bereitete sich auf das Gespräch mit der Witwe vor. Sie würde sie nach Shengalis Freund Ostapenko fragen müssen, auch danach, was die sicher weit verzweigte Verwandtschaft im Irak von Solin, dem bunten Paradiesvogel, hielt. Doch im Grunde interessierte sie nur eins: die ominösen Anzeigen und Gutscheine. Sie hoffte, Shengali war seiner Frau gegenüber auch so offen gewesen, dass er ihr – wie Ostapenko seiner Frau – davon erzählt hatte.
    Um neun Uhr fünfzehn erhielt sie vom Wachdienst an der Pforte einen Anruf. Eine Frau Shengali und ein Herr Eshaya wären jetzt da. Sie sagte zu Eva Brunner, die noch immer stumm über ihre Aufzeichnungen gebeugt saß: »Also, packen wir’s. Es ist so weit.«
    Während sie gemeinsam die Treppen zum Erdgeschoss hinunterstiegen, hielt ihr Eva Brunner das eng beschriebene Blatt Papier entgegen. »Schauen Sie es sich doch bitte mal an, ob das so für Sie in Ordnung geht.«
    Sie überflog die Fragenliste und antwortete: »Das ist sehr gut. Wirklich sehr gut. Lediglich eines haben Sie vergessen: Wo war Eshaya zur Tatzeit? Und hat er dafür ein Alibi?«
    Als sie auf dem letzten Treppenabsatz angelangt waren, sah sie neugierig durch die Panzerglasscheibe, die das Präsidium vom Eingangsbereich trennte, und musste lächeln. Die beiden Besucher hatten für ihren Auftritt exakt die Garderobe gewählt, die sie erwartet hatte. Frau Shengali mit schwarzem Kopftuch und knöchellangem dunkelgrauem Mantel; Herr Eshaya, der seine markante überdimensionale Nase soeben in den Aufsteller mit den Polizeiprospekten hielt, in einem taillierten anthrazitfarbenen Anzug aus Schurwolle, blütenweißem modischem Hemd und mit einer rosaroten Krawatte, die seiner Erscheinung hier in diesem schäbigen Vorraum, mit seinen abgewetzten Holzbänken und dem grau gesprenkelten Linoleumboden, etwas Extravagantes verlieh. Es gibt Klischees, dachte sie befriedigt, die einfach stimmen.
    Mit diesem selbstzufriedenen Lächeln begrüßte sie ihre Gäste. Eshaya erwiderte den Gruß mit einem ebensolchen Lächeln von ausgesuchter Verbindlichkeit, das aber in dem Moment zum Erliegen kam, als sie ihm die »für Sie, Herr Eshaya, zuständige Vernehmungsbeamtin Brunner« vorstellte.
    »Aber ich kann doch bei beiden Gesprächen anwesend sein, sehr verehrte Frau Steiner. Meine Tante und ich haben viel Zeit.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Aber wir nicht, Herr Eshaya. Wir leider nicht.«
    Auf dem Weg zu den Vernehmungszimmern im Keller ein letzter Versuch. »Aber wie werden Sie sich mit meiner Tante verständigen? Sie ist der deutschen Sprache ja in keinster Weise mächtig, wie Sie sicher schon festgestellt haben.«
    »Auch dafür haben wir vorgesorgt, lieber Herr Eshaya. Eine Dolmetscherin wird für mich und Ihre Tante übersetzen. Machen Sie sich keine Sorgen.«
    Nachdem sie den zwei Plaudertaschen, der deutschen wie der irakischen, ihr Zimmer zugewiesen hatte, ging sie mit Frau Shengali in den nebenan gelegenen Raum, wo Frau Horrlein bereits auf sie wartete. Die Dolmetscherin, ohne Kopftuch, aber mit wadenlangem

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