Duerers Haende
Jacketts angeschlagen. Blutspuren konnten Klaus und ich noch nicht entdecken. Aber wir nehmen Bodenproben mit nach Nürnberg. Ich sag dir jetzt mal, was wir alles haben. Wir haben den Sand, den Parkplatz untersucht, dann den Wagen außen wie innen. Das Führerhaus ist auch durch, die Auswertung wie immer in Nürnberg, fehlt bloß noch das ganze Gestrüpp hier. Mehr macht keinen Sinn. Oder was meinst du?«
»Ich bin deiner Meinung. Reicht dir dafür der heutige Tag oder müsst ihr morgen noch mal her?«
»Das kann ich dir noch nicht sagen. Die Beilngrieser sollen auf jeden Fall die Absperrung heute Nacht sichern. Für die Landeier ist das sicher mal eine nette Abwechslung. Hier passiert doch sonst nichts.«
»Klaus, nicht so laut, wenn die das hören. Dann kann ich mich ja auch trollen. Oder brauchst du mich noch?«
»Genauso wenig wie diese Gaffer.« Er deutete auf ein altes Ehepaar, das sich anscheinend zu Fuß, mit zwei Regenschirmen bewaffnet, auf den Weg zu diesem schaurigen Ort gemacht hatte und jetzt so scham- wie regungslos zu ihr und Dennerlein hinüberstarrte. Nicht lange, dann verscheuchte Hauptwachtmeister Tischler die beiden mit seinem unwiderstehlichen Grübchen-Lächeln.
Sie stieg in ihr Auto, und eine Minute später war sie auf der Landstraße. Betont freundlich winkte sie dem alten Pärchen zu, das mit ausgestrecktem Daumen versuchte, sich den Heimweg mit Hilfe dieser Polizistin aus Nürnberg weniger beschwerlich zu gestalten. Ohne Erfolg. Im Innenspiegel sah sie, wie der Alte ihr wütend mit der geballten Faust drohte.
Nach einer Dreiviertelstunde hatte sie die östliche Stadtgrenze von Nürnberg erreicht. Instinktiv bog sie am Wasserwerk links ab. Sie wollte der Stelle, an der man Shengali abgelegt hatte, ihre Aufwartung machen. Versuchen, ob sich das Kindinger Gefühl einstellen würde. Ob sie der vage Hauch von Verrat und Männerfreundschaft auch hier anwehen würde.
Sie sah auf die menschenleeren Wiesen und Pegnitzauen. Die Sperrbänder waren verschwunden, nur die weißen verblassenden Linien, mit denen man die Konturen des Leichnams nachgezeichnet hatte, kündeten von Shengalis Tod. Nein, das Gefühl meldete sich nicht wieder. Sie schloss die Augen. Jetzt sah sie die Leiche in allen Details vor sich. Den Mund, die blutverkrusteten Haare, die betenden Hände. Und da war sie wieder, die Ahnung des Übersinnlichen, die diesen Mord umgab. Inszeniert von außen, vom Mörder selbst. Sie spürte die Einsamkeit, hörte das Rauschen der Bäume, sah die zusammengefalteten Hände, fühlte geradezu das Gespinst aus Kameradschaft, Abtrünnigkeit und Strafe für jene tödliche Treulosigkeit.
Da meldete sich ihr Langzeitgedächtnis. Verse des fränkischen Dichters Friedrich Schnack über einen Lindenbaum gingen ihr durch den Kopf.
Unter deinem mächtigen Gestühle
überfällt mich ahnungslose Kühle,
und ich spüre aus der Blätter Wehen
fremden Lebens heimliches Geschehen.
Das hatte sie damals im Heimatunterricht auswendig lernen müssen. Als Kind war ihr dieses Gedicht fremd geblieben. Zu düster und bedrohlich, zu geheimnisumwoben und so gar nicht konkret. Ihre Heimatkundelehrerin hatte ein Faible für die dunkle nordische Seele gehabt, für alles, was tief und ungreifbar daherkam. Doch, ja, beide Szenerien, die der ländlichen Parkbucht genauso wie die des städtischen Wasserwerks, hatten ihre besondere mythische Anmutung. Zwei Orte, die sich zum Beschwören der Geister – der guten wie der bösen – geradezu anboten, die an Naturerscheinungen und archaische Bräuche aus der Vor- oder Frühzeit erinnerten. Oder daran erinnern sollten. Vielleicht war das bewusst so in Szene gesetzt?
In einem war sie sich allerdings sicher: Der Mörder hatte sich seinem Opfer verbunden gefühlt, seine Beziehung zu Shengali sah er als Gemeinschaft, beide waren aus irgendeinem Grund darauf angewiesen, sich aufeinander verlassen zu können. Dann aber hatte der Iraker den Bund gebrochen und diesen Bruch mit dem Leben bezahlt. Genau so war es: Hier hatte jemand eine Schlacht auf dem weiten Feld der Ehre geschlagen. Und anschließend wollte dieser Jemand mit seinem Arrangement dafür sorgen, dass das von außen auch so wahrgenommen werden würde.
Paula Steiner, die bekennende Realistin, hatte sich mit diesen Gedankenketten auf ein Terrain begeben, das ihr sonst fremd war. In das Gebiet der Spekulation, der Einbildung, ja, auch der Absurdität. Als sie erkannte, wie tief sie in diesen verminten Bereich, der sonst in
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