Duerers Haende
herum.
»Paula, wie wär’s denn mit einem Bier? Aber nicht so eiskalt wie das letzte Mal. Es darf ruhig zimmerwarm sein«, drang es aus dem Wohnzimmer.
Da saß sie nun, die Kriminalhauptkommissarin Steiner, die Einsatzleiterin, der man den ganzen Tag Achtung und Respekt entgegengebracht hatte – und war schlagartig zur Küchenmagd degradiert. Ein zu abrupter Rollenwechsel. Sie knallte das Glas auf den Holztisch und lief ins Wohnzimmer hinüber. Blickte auf den fläzenden Rüpel da auf ihrem Sofa und versuchte sich zu vergegenwärtigen, was sie an diesem Menschen einst so liebenswert, ja, und auch begehrenswert gefunden hatte.
Paul Zankl, einundfünfzig Jahre alt, gebürtiger Kallmünzer und Altbayer aus Überzeugung, allerdings verkannte die Testsituation, die er momentan durchlief. Er sah kurz zu ihr auf, lächelte und hielt sich eine imaginäre Flasche an den gespitzten Mund. Eine wortlose und für seine Begriffe sicher überaus charmante Erinnerung an die längst fällige Getränkelieferung. Die Küchenmagd Steiner reagierte ebenso wortlos auf diese Anmahnung, wenn auch nicht ganz so charmant. Sie zog den Stecker des Fernsehkabels aus der Steckdose, richtete sich dann würdevoll zu ihrer vollen Größe auf, so weit dies eben barfuß und in einem abgetragenen Männerbademantel möglich war, und wies mit dem Zeigefinger des ausgestreckten rechten Arms auf die Wohnungstür.
Jeder Franke, egal ob Mittel-, Ober- oder Unterfranke, hätte auf diese Steilvorlage angemessen reagiert – er hätte die Wohnung fluchtartig verlassen. Und wäre spätestens an der Haustür unten ein wenig beleidigt gewesen, auch wenn er nicht hätte sagen können, warum. Doch Paul war Oberpfälzer. Also aus einer ganz anderen Sphäre mit ganz anderen Denk- und Handlungsmustern. Er sprang vom Sofa auf, ging langsam und breit grinsend auf sie zu, nahm sie in die Arme und drückte sie so fest wie liebevoll an sich. Anfangs versuchte sie noch, sich aus dieser Umklammerung zu befreien, doch irgendwann gab sie ihren Widerstand auf – nachdem ihr nämlich wieder eingefallen war, was sie an diesem Menschen anfangs so liebenswert gefunden hatte.
Es wurde dann doch noch ein ausgesprochen schöner, erinnerungswürdiger Donnerstagabend auf der Couch im Wohnzimmer. Auch ganz ohne Bier und ganz ohne Fußball.
Als sie am nächsten Morgen die Wohnung verließ, war sie heiter und voller Tatendrang. Sie freute sich auf die anstehende Arbeit und auf die Menschen, mit denen sie heute zu tun haben würde. Vor allem gefiel ihr der Gedanke, in wenigen Minuten auf eine sicher ausgeschlafene und ebenso tatendurstige Eva Brunner zu treffen. Ihr Wohlwollens-Konto gegenüber der redseligen An-Wärterin hatte sich wieder aufgefüllt.
Umso enttäuschter war sie, als Eva Brunner sie mit einem etwas verkniffenen, betont kühlen »Guten Morgen, Frau Steiner« begrüßte.
Sie erwiderte den Gruß und fragte: »Ist was?«
»Wie ich gehört habe, waren Sie gestern am Tatort, Ohne mich.«
Ach, das war der Grund für den eisigen Empfang. »Ja, das stimmt. Ich war in Kinding. Soweit ich weiß, hatten Sie gestern Ihren freien Tag. Oder täusche ich mich da?« Sie sah Eva Brunner fragend an.
»Nein, das ist schon richtig. Aber ich wäre halt gern dabei gewesen. Wo ich doch bisher auch bei allem anderen dabei war.«
»Das wusste ich nicht, Frau Brunner. Und ehrlich gesagt fehlt mir auch die Phantasie, mir vorzustellen, dass irgendjemand hier in diesem Haus seine Freizeit gerne auf einer nasskalten Parkbucht mitten in der oberbayerischen Prärie verbringt. Doch jetzt nachdem ich weiß, dass Sie da eine Ausnahme bilden, sind Sie natürlich in Zukunft bei allen Einsätzen dabei. Ist das dann für Sie in Ordnung?«
Eva Brunner nickte zustimmend.
»Gut. Bevor ich es vergesse – haben Sie Herrn Bartels denn am Mittwoch im Krankenhaus besucht?«
»Ich wollte, aber er war nicht mehr da.«
»Wie, er war nicht mehr da?«
»Eine Schwester sagte mir, man habe ihn am Morgen schon entlassen. Daraufhin hatte ich eigentlich damit gerechnet, dass er heute hier im Büro ist, wenn ich komme. Aber vielleicht kommt er ja noch. Wo soll ich dann eigentlich sitzen, wenn Herr Bartels wieder da ist?«
Paula Steiner musste Dr. Leipold bewundern. Die taffe Stationsärztin hatte gegen Heinrichs Eigensinn und seine Hartnäckigkeit obsiegt. Dieses Kunststück würde ihr, war sie überzeugt, nicht gelingen. Heinrich hatte sich mit Sicherheit noch am Mittwochvormittag von seinem Hausarzt den
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