Duerers Haende
so wie sie das erzählt hat, klang das wie ein Nachteil den anderen deutschen Mitarbeitern von Frey-Trans gegenüber. Wie eine Ungerechtigkeit. Nur die beiden Ausländer, eben Shengali und Ostapenko, hatten damit zu tun.«
Was hatte es mit diesen ominösen Gutscheinen auf sich? Warum wollte Ostapenko verhindern, dass seine Frau sich darüber näher ausließ? »Seit wann arbeitete denn ihr Mann für Frey-Trans?«
»Seit knapp zwei Jahren.«
»Und wann hat er den Gutschein bekommen?«
»Vor zwei Jahren.«
Paula Steiner fehlte jeglicher Ansatzpunkt, um bei dieser Sache auch nur einigermaßen den Durchblick zu erhalten. Das machte sie nervös und ärgerlich. »Was macht man denn mit diesen Gutscheinen, zum Donnerwetter? Wofür braucht man die?«, rief sie ein wenig zu laut aus. Rhetorische Fragen, an sich selbst adressiert.
Doch Frau Horrlein übersetzte sie wortgetreu und erhielt nach einiger Zeit eine Antwort, die den aufziehenden Nebel vollends verdichtete: »Um arbeiten zu können.«
Sie erkannte, dass weitere Fragen und weitere Antworten zu diesem Thema in dieser sehr gemischten Runde nichts bringen würden. So bedankte sie sich bei Frau Shengali. Und fügte diesem Dank ein »Auf Wiederschauen« hinterher. Das aber überstieg die Deutschkenntnisse der Witwe. So erwiderte diese die Abschiedsfloskel nicht, sondern entgegnete daraufhin ihr Passepartout für alle Gelegenheiten, ein freundliches »Danke schön«.
»Eine Frage hätte ich noch, eine rein persönliche allerdings. Frau Shengali muss nicht darauf antworten. Warum hat sie nie Deutsch gelernt? Sie ist doch nun auch schon seit einigen Jahren hier. Und es werden genügend Kurse für Ausländer, auch solche exklusiv für Frauen, angeboten.«
Frau Horrlein übersetzte und sagte dann, nachdem sie eine längere Antwort von Frau Shengali erhalten hatte: »Weil ihr Mann immer gelacht hat, wenn sie es anfangs versucht hat. Dann hat sie es ganz bleiben lassen. Was ich sehr gut verstehen kann.«
Da bekam der markante Mund des Abdulaziz Shengali auf einmal einen Hauch von selbstgefälliger Arroganz und büßte einen Gutteil seiner Schönheit ein.
Zu dritt verließen sie das Zimmer. Sie hatte erwartet, draußen im Flur Eva Brunner und Bassim Eshaya vorzufinden. Doch der Flur war menschenleer. Sie bedeutete den beiden Frauen, einen Moment auf sie zu warten, dann betrat sie, ohne anzuklopfen, das kleine Vernehmungszimmer. Erschreckt sahen die Praktikantin und ihr Befragungsobjekt sie an, so vertieft waren sie in ihr Gespräch. Das Fragenblatt war vollgeschrieben. Ein Zeichen, dass Eshaya viel zu erzählen hatte. Und Eva Brunner vieles notierenswert gefunden hatte. Und das alles würde sie sich anhören müssen – bei dieser Vorstellung stöhnte sie innerlich auf.
Sie fragte: »Dauert es bei Ihnen noch lang?« Beide nickten. Sie stöhnte das zweite Mal auf, diesmal aber laut.
»Na gut, machen Sie so lang, wie Sie brauchen, Frau Brunner. Ich gehe jetzt nach oben.«
Sie verabschiedete sich ein zweites Mal von Frau Shengali, um sie anschließend in den kleinen Raum zu ihrem Neffen zu bringen. Frau Horrlein versprach, das Protokoll so schnell wie möglich zu liefern.
»Ach«, winkte sie ab, »das pressiert nicht. Das gibt ja eh nicht viel her.« Und um das wenige, das diese Befragung erbracht hatte, würde sie sich selbst kümmern müssen.
Als sie ihr Büro betrat, wartete eine Überraschung auf sie: Heinrich Bartels war fast direkt, nur mit einem Tag Verspätung und ohne den Umweg mit dem gelben Verlängerungsschein, aus dem Krankenstand an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt. Er saß auf seinem Stuhl, an seinem Schreibtisch, den er sich mit all seinen Unterlagen, Akten und Schreibmaterialien binnen Kurzem zurückerobert hatte, und sah seine Chefin voller Bitterkeit an. Eva Brunners Hab und Gut lag achtlos aufgestapelt auf dem Fensterbrett.
»Das ist aber toll, dass du wieder da bist. Da freue ich mich, Heinrich, wirklich sehr.« Sie ging auf ihn zu und reichte ihm die Hand als Willkommensgruß.
Statt einer Erwiderung maunzte er nur: »Deine neue Praktikantin hat sich ja ganz schön breitgemacht, die will hier wohl Wurzeln schlagen. Ich finde das ziemlich dreist, einfach so den Schreibtisch eines anderen …«
»Erstens: Die heißt Frau Brunner. Und zweitens hat sich Frau Brunner nicht breitgemacht, sondern einen Schreibtisch gebraucht. Oder hätte ich sie deiner Ansicht nach auf den Aktenschrank setzen oder an die Garderobe hängen sollen? Jetzt, nachdem du
Weitere Kostenlose Bücher