Duerers Haende
Einwände vorzubringen. Das schien nicht der Fall zu sein.
Also schloss sie mit den Worten: »Und wie gehen wir das an? Auch darüber habe ich mir schon Gedanken gemacht. Wir werden nicht abwarten, bis Herr Frey uns samt seinem Anwalt morgen Nachmittag die Ehre gibt, wir werden ihn heute noch mal in die Mangel nehmen und so lange dort bleiben, bis er uns einen plausiblen Grund für die anscheinend bevorstehende Entlassung Shengalis nennen kann. Ich habe nämlich erkannt: Dieses Hinterher-Ermitteln führt nur in die Irre, wir müssen vorausplanender, strategischer handeln. Das ist in einer Mordkommission übrigens nicht anders als beispielsweise im Fußball. Auch da bringen die Abgaben nach hinten gar nichts, nach vorn muss man spielen, dann klappt’s auch. Na, was sagen Sie dazu, Frau Brunner? Oder du, Heinrich?«
Heinrich antwortete als Erster. »Eine Besprechung hatte ich mir zwar anders vorgestellt. Aber egal. Nur eine bescheidene Frage meinerseits: Ich gehe doch recht in der Annahme, dass du uns nicht anmelden willst?«
Sie nickte. »Natürlich nicht. Ja, und?«
»Was machst du denn, wenn der Frey nicht da ist? Wie schaut dann deine Strategie des Nach-vorne-Spielens aus?«
Sie dachte nach. Diese Möglichkeit hatte sie in ihrer Begeisterung ganz vergessen. »Dann werden wir den Senior befragen. Der ist doch meistens zu dieser Zeit in der Spedition. Und irgendeine Ahnung wird er schon haben. Er wird uns sicher etwas sagen können, das uns weiterhilft.«
Als sie zu dritt über den Hof am Jakobsplatz zum Polizei-Fuhrpark liefen, sagte Heinrich: »Dann glaubst du es jetzt auch, dass unser böser Onkel mit dieser Sache etwas zu tun hat?«
Sie hörte den triumphierenden Unterton in seiner Frage. »Das habe ich nie bezweifelt. Er ist darin verwickelt. Aber wie tief, das müssen wir noch rauskriegen.«
Eine halbe Stunde später standen sie vor dem geschlossenen Schiebetor in der Donaustraße. Der Hof war zugeparkt mit elf Lastern und mindestens so vielen Autos. Sie drückte auf den Klingelknopf. Keine Reaktion. Dann nochmals, energischer. Wieder nichts.
»Frau Brunner, rufen Sie doch mal über das Autotelefon bei Frey-Trans an. Irgendjemand muss ja da sein an so einem stinknormalen Wochentag.«
Nach einer Weile kehrte die Assistentin wieder. »Da war nur das Band dran. Wegen einer internen Veranstaltung haben wir heute geschlossen … versuchen Sie es bitte morgen wieder … in dringenden Fällen hinterlassen Sie uns eine Nachricht … wir bitten um Ihr Verständnis …«
»Da bitten sie vergebens«, murmelte sie. »So, nachdem ich hiermit erklärt habe, dass Gefahr in Verzug ist, werden wir uns den Zutritt eben selbst verschaffen.«
Sie hielt der verdutzten Eva Brunner ihre Tasche hin und kletterte über das niedrige Tor. Heinrich folgte ihr. Die Kommissaranwärterin sah beide ängstlich an.
»Vielleicht sollte ich besser hierbleiben und Sie mit dem Handy warnen, wenn sich draußen was tut? Einer von uns sollte schon Schmiere stehen, finde ich.«
»Quatsch. Schmiere stehen nur Ganoven. Wir aber sind von der Polizei, das Recht ist auf unserer Seite.«
»Na ja«, warf Heinrich spöttisch ein, »ob das Recht in diesem Fall auf unserer Seite ist, wage ich zu bezweifeln. Du kannst es halt mal wieder nicht erwarten, Paula, das ist doch der einzige Grund. Ich sehe nämlich hier keine Gefahr in Verzug, nicht die geringste. Nur dich und deine Ungeduld.«
»Jawohl, ich und meine produktive Ungeduld. Das wolltest du doch sagen. Wir beide haben schon manchen Anstoß in die richtige Richtung gegeben. Also, was ist jetzt, Frau Brunner? Kommen Sie mit oder nicht?«
»Lieber nicht.«
»Auch recht. Dann warten Sie hier vor dem Tor auf uns. Wenn wirklich was Auffälliges passieren sollte, melden Sie es uns über das Handy. Wobei ich glaube, das Auffällige erwartet uns nicht hier draußen, sondern da drinnen.«
Sie ging direkt zur Eingangstür und drückte mit der rechten Hand lange auf den Klingelknopf. Auch diese feinstrategische Aktion blieb ohne Echo.
»Dann eben nicht«, sagte sie zu Heinrich, der reglos neben ihr stand. »Wir gehen jetzt ums Haus und schauen, ob irgendwo Licht brennt. Es muss doch jemand da sein.«
Der Zweier-Spähtrupp setzte sich in Gang. Als sie der Stirnseite des Gebäudes den Rücken gekehrt hatten, kamen ihr Zweifel. Sie dachte, dass sie gerade gegen etliche Regeln verstieß, wie sie ihren Beruf ausüben sollte. Schnell wischte sie diesen irritierenden Gedanken beiseite und ließ den
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