Duerers Haende
anderes übrig, als zu arbeiten.« Diese Antwort kam unerwartet ernst, mit einem bitteren Beiklang.
»Ich habe vor Kurzem gelesen«, meldete sich daraufhin die Rückbank wieder zu Wort, »wer nie das rauschhafte Erlebnis von Gemeinschaft spürt, von Wertschöpfung und Wertschätzung, die jede Arbeit mit sich bringt, selbst die schlecht bezahlte oder mies angesehene, der ist eigentlich arm dran. Also ist Arbeit doch etwas ganz Wichtiges, Entscheidendes für jeden von uns. Wichtig für die innere Gesundheit und für die Seele.« Hier sprach offenkundig jemand, der das Pathos liebte.
»Das ist richtiger Quatsch«, widersprach Paula Steiner vergnügt, nachdem sie sich an ihren karg eingedeckten Frühstückstisch von heute Morgen erinnert hatte. »Theoretisches, hochgestochenes Blabla von irgendwelchen Schreiberlingen, Freiberuflern zumeist, die noch nie in einem Angestelltenverhältnis waren und keine Ahnung haben, was es bedeutet, jeden Tag irgendwo acht Stunden hintereinander absitzen zu müssen. Immer wieder, Woche für Woche, Monat um Monat, Jahr für Jahr. Bis man so alt ist, dass man gute Chancen hat, seine Rente gar nicht mehr zu erleben«, redete sie sich in Rage. »Wie man den Tag rumbringt, das ist Arbeit.«
Nach dieser Klarstellung herrschte betretene Stille auf dem Rück- und Fahrersitz. Erst als sie den Präsidiumshof überquerten, fragte sie Heinrich: »Du hast den Junior nicht mitgenommen?«
»Nein. Du hast doch selbst gesagt, ich soll ihn bloß dann festnehmen, wenn er nicht redet. Aber er hat ja geredet.«
»Ja. Das war auch vollkommen richtig. Und die andere Frage, was hat er dazu gesagt?«
»Welche andere Frage?«
»Ob er sein Auto am Montag vor einer Woche jemandem ausgeliehen hat.«
»Mensch, das hab ich vergessen.«
»Blöd. Na ja, er kommt morgen eh zu uns, da machen wir alles gleich in einem Abwasch.«
»Was unternehmen wir jetzt als Nächstes, Paula?«
»Nichts. Wir warten die Ergebnisse der Spurensicherung ab. Und Frau Brunner wird sich morgen um einen Haftbefehl für den Frey kümmern.«
»Dann kann ich ja Freys Alibi noch mal in aller Ruhe überprüfen.«
»Freilich. Was verstehst du unter ›in aller Ruhe‹?«
»Ich fahre nach Ansbach, zu diesem Großhändler, und sprech mit ihm persönlich.«
»Einverstanden. Nimm aber Frau Brunner mit. Damit sie auch mal das rauschhafte Erlebnis deiner Gesellschaft spürt.«
Nachdem sie ihr Büro für sich allein hatte, öffnete sie die Fensterflügel weit, setzte sich und legte die Füße auf die Heizrippen. Ihr Elan und ihre Zuversicht hatten sich verflüchtigt, genau wie jetzt die abgestandene Luft in ihrem Büro. Sie nahm das Mobilteil ihres Telefons in die Hand – und legte es wieder auf die Basis. Griff noch einmal zum Telefon und wählte dann die Nummer der Nürnberger Agentur für Arbeit. Eine zentrale Vermittlungsstelle meldete sich. Sie spulte ihren Text herunter – Name, Dienstgrad, Abschnitt, Fachdezernat – und verlangte in einem autoritären Befehlston, den sie sich im Umgang mit der Nürnberger Agentur für Arbeit mittlerweile angewöhnt hatte, augenblicklich mit der Teamleiterin Beatrice Entner verbunden zu werden. Es wirkte.
Nach ein paar ausgesucht höflichen Begrüßungsfloskeln erzählte sie der Teamleiterin von ihrem Gespräch mit Frey. Von der Möglichkeit Ostapenkos und Shengalis, nach drei Monaten Arbeitslosigkeit wieder zu der Spedition zurückzukehren. Wenn sie nur das richtige Geschenk mitbrachten, den Eingliederungszuschuss.
»Jetzt sagten Sie mir aber, dass die Firmen ein Vorbeschäftigungsverbot einhalten müssen. Das habe ich so verstanden, dass dieser Zuschuss nicht beliebig oft gewährt wird. Wie oft kann denn nun ein Arbeitsloser ihn beantragen?«
»Wenn sie die Anforderungen erfüllen, können unsere Kunden den EGZ immer wieder beantragen. Aber nicht für denselben Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer darf in den letzten vier Jahren nicht mehr als drei Monate bei demselben Arbeitgeber beschäftigt gewesen sein. Dann würden wir ja der Gefahr Vorschub leisten, dass vorhandene Arbeitsverhältnisse in geförderte umgewandelt werden. So, wie Sie das beschrieben haben, geht es definitiv nicht. Und das wissen die Arbeitgeber auch. Das steht ja in allen Formularen, die sie ausfüllen müssen, um den EGZ zu erhalten. Wahrscheinlich meinte Herr Frey, dass er dann statt Shengali und Ostapenko zwei andere Kunden von uns beschäftigen würde. Dieses Wechselspiel ist zwar nicht in unserem Sinne, aber strafbar ist es so
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