Duerers Haende
hast?«, fragte Johanna entrüstet zurück. »Meinst du, der Tee macht sich von selbst? Oder der Fleischsalat kommt hier reingeflogen wie die Tauben im Märchen? Außerdem wasche ich jeden Tag ab, jeden Tag, der Eingangsbereich wird auch täglich von mir staubgesaugt, schon allein wegen dem Maxl, der immer Dreck reinträgt, dann die Wäsche, das will alles …«
»Ja, Mama, das ist eh klar. Das meine ich nicht. Ich meine die Arbeit im Beruf. Hat die dir Spaß gemacht?«
»Am Anfang schon. Es ist aber mit der Zeit immer weniger geworden. Außerdem sind all die Kollegen nach und nach gegangen, mit denen ich gut ausgekommen bin. Am Schluss waren nur noch zwei, drei da, die in Ordnung waren, die anderen konnte man vergessen. Auf jeden Fall war es die letzten Jahre nur noch eine Quälerei für mich. Ich war dann gottfroh, als mein letzter Arbeitstag gekommen war und ich nicht mehr in dieses blöde Büro, zu diesem ganzen Papierkram gehen musste. Die Arbeit selbst hat mich die letzten Jahre regelrecht angewidert. Aber du in deinem Alter kannst das bestimmt nicht verstehen, du bist sicher froh, dass du eine Arbeit hast und dann auch so nette Kollegen wie diesen Heinrich, gell? Schließlich machst du ja auch was Sinnvolles. Oder?«
»Also, ich weiß nicht, was daran sinnvoll sein soll, immer die zu sein, die zu spät kommt. Wenn alles schon passiert ist. Die Toten vor einem liegen.« Sie verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Ich glaube, ich schlafe heute bei dir, wenn du nichts dagegen hast.«
»Was soll ich dagegen haben, Paula? Max und ich freuen uns immer, wenn du kommst. Je länger, je lieber. Gell, Maxl?«
Der Rauhaardackel bestätigte das auf seine Weise. Er sprang aufs Sofa, mitten auf ihren Schoß, stützte sich mit den Vorderpfoten auf ihrer Brust ab und schleckte ihr übers Gesicht.
»Kann ich gleich auf dem Sofa bleiben? Es ist hier so gemütlich.«
»Ja, wenn du möchtest. Dann bring ich dir aber das Federbett. Und einen Schlafanzug. Weil nachts ist es mittlerweile doch recht frisch.«
Ihre Trutzburg, das taubenblaue Sofa, verließ sie an diesem Abend nur mehr zweimal. Einmal, um auf die Toilette zu gehen, und das andere Mal, um in den Schlafanzug zu schlüpfen. Ansonsten verbrachte sie die Zeit damit, ihrer Mutter bei deren allabendlichen Verrichtungen zuzusehen. Da musste die so wichtige, zumindest eine warme Mahlzeit des Tages, und wenn es nur eine Suppe war, zubereitet, der Couchtisch eingedeckt und das Geschirr wieder abgetragen werden, der Abwasch erledigt sein, der Hund zur letzten Gassirunde hinausgeführt, danach mit dem Frotteetuch sorgfältig abgetrocknet und ausgiebig gestreichelt werden; die Nachrichten wollten gesehen, die Zähne geputzt und das Gesicht mit kaltem Wasser gewaschen werden. Schließlich der letzte Kontrollgang des Tages: Ist die Haustür zugesperrt, hat das Maxl noch genügend Wasser, sind alle elektrischen Geräte ausgeschaltet, die Fenster zu, die Betten aufgeschüttelt, stehen Wasserflasche und Trinkglas griffbereit auf dem Nachtkästchen?
Und als schließlich die Lichter auch im Wohnzimmer ausgingen, dachte sie wehmütig: Was für ein behagliches, überschaubares, kleines Leben! Beneidenswert. In diesem Moment freute sie sich auf die Rente und ihr Dasein als Seniorin. Auf die Vorstellung, es dann ihrer Mutter in allem gleich zu tun. Bevor sie ausrechnen konnte, wie viele Jahre sie bis dahin der Wertschöpfung noch dienen und sehen musste, wie sie ihre Tage irgendwie rumbrachte, war sie auch schon eingeschlafen.
8
Am nächsten Morgen wachte sie um kurz vor halb acht Uhr durch einen leichten Druck in der Magengegend auf. Sie schlug die Augen auf. Max stand über ihr, mit feuchtem Fell, und lachte sie an. Sie kraulte ihn hinter beiden Ohren.
»Paula, bleib liegen, das Frühstück kommt gleich. Ich muss nur noch die Eier abschrecken«, klang es verheißungsvoll aus der Küche.
Wenige Minuten später war ein opulentes Frühstück auf dem Couchtisch vor dem Sofa angerichtet. Mit Müslischale, dampfendem Kaffee, Milchkännchen, Butterbrot, Fünf-Minuten-Ei, Salz und einer Untertasse klein geschnittener Apfelschnitze. Sie ließ sich Zeit, das alles in der vorherbestimmten Reihenfolge zu verzehren. Satt und gut gelaunt verließ sie eine Stunde später den Schlieffenweg mit dem Versprechen, bald mal wieder auf einen so gemütlichen Abend vorbeizusehen.
Am Vestnertorgraben parkte sie den BMW und ging zu Fuß ohne Hast zum Jakobsplatz. Es war halb zehn, als sie die Tür zu
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