Duerers Haende
Sie sah ihn ernst an und überlegte. Sie würde sich eine Abmahnung nicht gefallen lassen, unter keinen Umständen. Aber was, wenn er ihr fristlos kündigte? Was würde dann aus ihr? Ein Fall für das Arbeitsamt, ein gefundenes Fressen für die Teamleiterin B. Entner. War sie zu weit gegangen? Nein. Sie war sich keiner Schuld bewusst. Sie würde nichts davon zurücknehmen, kein einziges Wort. Sie würde sich auch nicht auf eine Pro-forma-Entschuldigung einlassen, sie nicht. Sie war im Recht. Oder? Wenn Fleischmann sie darum bat, vielleicht sollte sie dann besser nachgeben? Nein, auf keinen Fall. Ihr Entschluss stand fest.
»Ich muss mich für meine Sekretärin entschuldigen. Es tut mir sehr leid, dass Frau Reußinger sich Ihnen gegenüber so ungebührlich benommen hat. Derlei Kompetenzüberschreitungen sind sonst gar nicht ihre Art. Natürlich geht es nicht an, dass meine Sekretärin die Arbeit verteilt. Auch von meiner Seite aus gesehen ist das ein Ding der Unmöglichkeit. Ich habe mit ihr bereits darüber gesprochen, und ich denke, sie hat eingesehen, dass sie zu weit gegangen ist. So etwas wird sich nicht wiederholen, das verspreche ich Ihnen. Nehmen Sie meine Entschuldigung an?«
»Das kann ich nicht, Herr Fleischmann. Sie tragen ja keine Schuld an dieser Sache. Entschuldigen kann sich immer nur der, der Schuld hat. Sonst hätte der Begriff des Entschuldigens, also des Freimachens von Schuld, ja keinen Sinn.«
»Ach«, rief der Kriminaloberrat aus, »natürlich, ich hatte jetzt doch tatsächlich vergessen, dass Sie eine Frau mit Grundsätzen sind.«
Sie nickte mit einem versuchsweisen Lächeln. »Genauso ist es. Aber ich könnte die Geschichte vergessen. Damit wäre Ihnen und übrigens auch mir geholfen. Oder sehen Sie das anders?«
»Gut, dann vergessen wir beide diese Angelegenheit. Vorerst. Nun zu etwas anderem: Dieser«, er sah in seine Unterlagen, »Karsten Kramer wurde heute Morgen, vor einer knappen Stunde, von seiner Sekretärin ermordet aufgefunden. Da Sie mit ihm schon im Fall Shengali zu tun hatten, übergebe ich Ihnen auch diesen Fall. Oder sind Sie mit Ihrer zweieinhalb Mann starken Kommission damit überfordert? Soll ich Ihnen noch jemanden aus Perras’ Sachbereich dazugeben?«
»Nein«, antwortete sie schnell, »das braucht es nicht.«
Er legte den Schnellhefter behutsam auf ihren Schreibtisch. »Gut, dann kümmern Sie sich jetzt vorrangig um diesen Kramer. Und wenn Sie irgendwann einmal eine ruhige Minute haben, möchte ich einen Bericht über den aktuellen Ermittlungsstand. Mündlich oder schriftlich, was Ihnen lieber ist. Wobei … Nein, ich brauche einen schriftlichen Bericht. Einen von jener Sorte, den man auch an höchster Stelle vorzeigen kann. Darin dürfen Sie dann auch gern dieses Wischiwaschi von der Montagskonferenz wiederholen, das wäre in meinem Sinne. Sie wissen schon, Analyse der komplexen Motivstruktur, die zahlreichen Zeugenbefragungen, die interessanten neuen Aspekte und so weiter und so fort.«
An der Tür drehte er sich noch einmal um. »Sie haben Ihre Position Frau Reußinger gegenüber mit sehr harten unmissverständlichen Worten geklärt. Ich an Ihrer Stelle hätte mich vielleicht ein wenig dezenter ausgedrückt. Aber jetzt im Nachhinein denke ich, Ihre Version war die nachhaltigere und damit auch bessere. Zumal in dieser besonderen Konstellation. Zumindest Frau Reußinger hat schon mal eingesehen, dass sie falsch gehandelt hat. Und ich bin guter Hoffnung, das auch Kommissionsleiter Trommen aus Ihrem Auftritt eine wichtige Lehre gezogen hat.«
Also waren die »Bestrebungen« noch im Gang, mit offenem Ende. Sie stand auf, um nach Heinrich und Frau Brunner zu suchen. Sie fand beide in der Teeküche.
»Und, was ist?«, fragte Heinrich.
»Es ist, dass ich von unserem Chef einen neuen Fall übertragen bekommen habe. Den ich auch angenommen habe, weil er zu unserem anderen Fall passt. Dieser Kramer ist in seinem Büro ermordet worden. Ich fahre jetzt dahin. Mit dir, Heinrich. Und Sie, Frau Brunner, werden sich um die Verhaftung von Frey kümmern.«
»Allein?«
»Nein, natürlich nicht. Nehmen Sie zwei Kollegen von der Schutzpolizei mit. Meinetwegen auch vier. Je mehr Uniformierte und Einsatzwagen da auf dem Hof rumstehen, desto besser.«
»Und wenn er nicht da ist?«
»Dann warten Sie auf ihn. Die von der Spedition sollen ihn anrufen, dass er umgehend in der Donaustraße zu erscheinen hat. Ansonsten schreiben Sie ihn zur Fahndung aus. So, auf geht’s.«
Auf der
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