Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Duerers Haende

Duerers Haende

Titel: Duerers Haende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Kirsch
Vom Netzwerk:
Fahrt fragte Heinrich sie: »Und was hat Fleischmann zum Fall Reußinger gesagt?«
    »Er hat sich bei mir entschuldigt. Für sie.«
    »Das ist doch gut. Dann kannst du doch zufrieden sein.«
    »Könnte ich. Bin ich aber nicht. Weil das nur eine kleine, unbedeutende Schlacht war, die wir gewonnen haben. Bei der großen Schlacht, den sogenannten ›Bestrebungen‹, du weißt schon, ist alles noch offen.«
    Als sie den Lift zur Agentur hinauffuhren, sagte Heinrich: »Ich bin überzeugt, die beiden Fälle Shengali und Kramer haben miteinander zu tun. Und trotzdem kann ich mir im Moment nicht vorstellen, wie.«
    »Mir geht es genauso, Heinrich. Aber das werden wir bald herausfinden. Beziehungsweise das müssen wir, damit wir auch unsere große Schlacht erfolgreich schlagen können.«
    Oben an der Tür stand ein großer Polizist, der sie sofort in den Vorraum einließ. In einem der beiden Besuchersessel saß Frau Bernreuther, verstört und stumm. Die Assistentin schien sie nicht zu erkennen. Sie reichte ihr die Hand, die unberührt blieb.
    »Frau Bernreuther, geht es Ihnen so weit einigermaßen oder fühlen Sie sich schlecht?« Keine Reaktion.
    »Ist der Notarzt noch da?«, fragte sie Klaus Dennerlein, der soeben aus Kramers Büro trat. Dennerlein schüttelte den Kopf.
    »Irgendjemand muss sich um Frau Bernreuther kümmern. Ich fürchte, die kippt uns gleich um.«
    »Das soll der Grath machen, der wartet eh auf dich.« Dennerlein rief in das Büro: »Herr Dr. Grath, kommen Sie mal bitte. Sie werden hier gebraucht.«
    »Müdsam ist heute wohl nicht da?«, fragte sie leise.
    »Nein, leider«, entgegnete der Kriminaltechniker im Flüsterton, »der hat seinen freien Tag.«
    Auch sie bedauerte das. Grath fehlte es als stellvertretendem Leiter der Rechtsmedizin an Anerkennung und vor allem an Selbstbewusstsein. Beides glich er durch eine manchmal schon widerwärtige Arroganz aus. Er nutzte seine Anwesenheit am Tatort gern, um sein Wissen den anderen Einsatzkräften in einem unverständlichen Fachchinesisch unter die Nase zu reiben. Das heißt: Er liebte es, sich verklausuliert und weitschweifig auszudrücken. Seine Einschätzungen waren genau wie seine Berichte mehr hinderlich als hilfreich. Sie würde ihn bitten, ihr den Bericht möglichst bald schriftlich zukommen zu lassen – und diesen dann von Frieder in verständliches Deutsch übersetzen lassen.
    Als der Gerichtsmediziner an ihr vorbeieilte, nickte sie ihm kurz zu. Dann endlich folgte sie Heinrich, der bereits vorausgegangen war.
    Noch immer schimmerten die alten Möbel in diesem sanften Rotbraun, auch hatten die Wände von ihrem vornehmen Taubenblau seit Montag nichts eingebüßt – und doch war von der besänftigenden Wirkung dieser kalkulierten Farbkomposition nichts mehr zu spüren. Kramers Büro bot jetzt ein ganz anderes Bild als das eines Chefzimmers in der Blütezeit des britischen Kolonialismus. Hier hatten in der Zwischenzeit aufständische Rebellen gewütet, ein Heer von Antikolonialisten. Regale und Stühle waren umgeworfen, Schubladen, Papiere und Aktenordner lagen kreuz und quer auf dem Parkettboden, der schwere Messing-Ventilator lag schief auf dem Schreibtisch und begrub den weinroten, verbeulten Laptop unter sich. Ein Ort der Verwüstung und der Raserei, hinter der sie den grenzenlosen Zorn des Täters erkannte.
    Und vor dem Schreibtisch, auf dem Chefsessel, der ehemalige Leiter der Agentur Karsten Kramer, nach hinten gereckt, mit grausig verzerrten Gesichtszügen, halb geöffnetem Mund und weit aufgerissenen Augen. Augen so unterkühlt und von einem zarten Weiß-Blau wie der Grund eines finnischen Sees in einer bitterkalten Polarnacht. Eine blonde Strähne hing ihm über die schmale Nase bis auf das Kinn hinab. Paula widerstand der Versuchung, sie ihm aus dem Gesicht, nach hinten zu pusten. Sie beugte sich über ihn und sah die Würgemale an seinem Hals.
    »Frau Bernreuther hat sich wieder beruhigt. Ich soll Sie fragen, ob sie Tee für alle aufsetzen soll.« Sie hatte Dr. Grath nicht kommen hören, der nun neben ihr stand.
    »Also für mich nicht.«
    »Für sie wäre es besser, sie hätte dann eine Beschäftigung. Das lenkt ab.«
    »Ja, dann eben meinetwegen. Wenn Sie das für sinnvoll erachten …«
    Grath gab einem herumstehenden Polizisten, der mitgehört hatte, ein Zeichen. »Sie werden es schon selbst gesehen haben, Frau Steiner«, sagte er dann, »der Mann ist erwürgt worden. Seine hervorstehenden Augen, die Würgemale am Hals, die Zyanose,

Weitere Kostenlose Bücher