Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)
Patienten, manchmal hatte es überhaupt keine Wirkung und manchmal schien es dem Patienten danach schlechter zu gehen. Aber immer noch bettelten die Leute darum, auch wenn es mir immer mehr widerstrebte, es zuzubereiten. Einige Monate später kam dann ein Schiffseigentümer, Hans Marek, ein Mann von einigem Reichtum und mit Einfluss in der Stadt, dessen Frau sehr krank war. Er verlangte das Elixier von mir. Ich sagte ihm, dass ich es nicht mehr herstellte. Er bot mir eine große Summe in Gold, und ich war so dumm, darauf einzugehen. Marek nahm mein Elixier mit nach Hause, und seine Frau starb, kurz nachdem sie es eingenommen hatte. Er war so außer sich, dass er verlangte, ich sollte wegen Zauberei gehenkt werden.« Polidori kicherte. »Sie verstehen, wenn eine Medizin positiv wirkt, ist es gesegnete Wissenschaft, und wenn sie versagt, ist es Zauberei. Ich wurde einem Richter vorgeführt, einem vornehmen und aufgeklärten Herrn, der die Anklagepunkte als barbarisch und primitiv zurückwies. Aber er hat mir für immer verboten, das Elixier jemals wieder herzustellen oder Alchemie zu praktizieren.«
»Dieser Richter«, fragte Henry, »wie war sein Name?«
Dieselbe Frage hatte auch mir auf den Lippen gelegen und ich wartete ängstlich auf die Antwort.
»Sein Name war Alphonse Frankenstein«, sagte der Apotheker.
Ich war sehr stolz auf die Gerechtigkeit meines Vaters, doch als ich sah, dass Elizabeth drauf und dran war, unsere Verbindung zu ihm offenzulegen, berührte ich schnell ihre Hand. Ich hielt es nicht für klug, Polidori wissen zu lassen, wer wir waren. Jedenfalls jetzt noch nicht.
»Ich schulde Frankenstein mein Leben«, sprach Polidori weiter, »also, was davon noch übrig geblieben ist. Aber Hans Marek war mit dem Richterspruch nicht zufrieden. Einige Nächte später wurde ich von einem betrunkenen Mob aus dem Bett gezerrt, auf die Festungswälle geschleppt und hinabgestoßen.«
Elizabeth schnappte nach Luft.
»Wie man sieht, habe ich den Sturz überlebt«, erzählte er weiter, »was ein Wunder für sich ist. Doch von der Hüfte an abwärts bin ich gelähmt.« Er klopfte auf seine Beine. »Ich habe jetzt gewissermaßen kein Geschäft mehr, aber ich bin bescheiden mit meinen Ersparnissen umgegangen, und so kann ich weitermachen, wie Sie sehen. Nun haben Sie sich eine lange und gewichtige Geschichte angehört, und wenn sie überhaupt eine Moral hat, dann die: Befreien Sie sich von dem Buch, bevor es Ihnen Unglück bringt. Und jetzt einen guten Tag.«
Wieder war er drauf und dran, sich mit seinem Rollstuhl abzuwenden.
»Es geht um meinen Bruder …«, fing ich an, aber dann brach mir die Stimme.
Polidori seufzte. »Das tut mit sehr leid zu hören«, sagte er. »Es ist immer so. Ich habe das so viel Male erlebt. Wenn einer unserer Geliebten sehr krank wird und alles sonst versagt, ist man bereit, jedes Risiko in Kauf zu nehmen.«
»Ja«, sagt Elizabeth.
Polidori schüttelte den hageren Kopf. »Das letzte Mal, als ich mit solch einem Patienten Mitleid hatte, hat es das Leben des Patienten und nahezu auch meines gekostet.«
»Wir haben Geld«, warf ich ein.
Müde hob Polidori die Hand. »Ich kann nicht. Ich will nicht. Und wenn ich Ihnen noch einen zusätzlichen Rat geben darf, hören Sie mit der Suche auf. Agrippas Rezeptur ist niemals wieder zur Anwendung gekommen. Und warum? Weil es in einer seltsamen und komplizierten …«
»Das Alphabet der Magier«, sagte ich. »Das wissen wir.«
»Sehr gut«, meinte er. »Aber wissen Sie auch, dass es dafür keine Übersetzung gibt? Es ist unlesbar.«
»Und was ist mit Paracelsus?«, wollte Elizabeth wissen. » Das Archidox der Zauberei ?«
Polidori blickte uns überrascht an, sogar beeindruckt. »Alle Exemplare sind weg, verbrannt«, sagte er mit einer Spur von Wehmut in der Stimme. »Es existiert nicht mehr! Und selbst wenn das nicht so wäre …«
Aus meiner Tasche nahm ich den Band von Paracelsus und legte ihn vorsichtig vor ihn auf den Tresen.
Schweigend starrte er darauf mit einem sonderbaren Ausdruck, den ich nicht richtig ergründen konnte. Doch dann wusste ich es. So schaut eine Katze ihre Beute an, kurz bevor sie sich daraufstürzt. Seine grauen Augen hoben sich langsam, bis sich unsere Blicke trafen.
»Wo haben Sie das gefunden?«, fragte er leise.
»Das ist meine Sache.« Ich befürchtete, dass er sich weigern würde, uns weiterzuhelfen, wenn er zu viel über uns erfuhr und Rückschlüsse auf meine Eltern ziehen könnte. »Werden Sie uns
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