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Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Titel: Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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wie die eines Chirurgen aussahen. Da gab es jede Art von Pinzetten und Zangen und winzige Skalpelle. Ich blickte Henry an und sah, wie er schauderte.
    »Ich nehme doch an, dass Sie alle helfen wollen«, erklärte Polidori. Und zu Henry sagte er: »Sie werden der Zeitmesser sein. Da ist eine Uhr, und Sie müssen die Sekunden zählen, wenn ich es Ihnen nachher sage.« Zu Elizabeth und mir sagte er: »Ich baue darauf, dass Sie mir bei der Operation helfen können.«
    »Operation?«, fragte Elizabeth überrascht.
    »Natürlich«, antwortete er. »Das hier muss ebenso exakt ablaufen wie eine medizinische Prozedur.«
    Danach nannte er uns die Namen der verschiedenen Instrumente und nahm schließlich einen Zerstäuber, der mit irgendeiner Flüssigkeit gefüllt war, und befeuchtete das Buch damit. Dann wandte er sich an mich: »Wenn Sie jetzt bitte das Exemplar ruhig halten, fangen wir an. Nun das Gutenburgskalpell.«
    Elizabeth reichte es ihm sofort und er machte sich an die Arbeit.
    Vor einigen Monaten hatte uns Vater in den Anatomiesaal des berühmten Arztes Dr. Bullmann mitgenommen. In dem ansteigenden Hörsaal, der bis obenhin mit eifrigen Anatomiestudenten besetzt war, schauten wir zu, wie Dr. Bullmann die Leiche eines erst vor Kurzem gehenkten Strafgefangenen öffnete. Wir sahen sein Herz und seine Lunge, die Milz und den Magen. Henry musste rausgehen. Doch Konrad und ich – auch Elizabeth – waren bis zum Ende geblieben. Es war zugleich schrecklich und faszinierend zu sehen, wie die innersten Geheimnisse des Körpers offengelegt wurden.
    Ich empfand genau dieselbe Anspannung, als Polidoris Hände über dem Buch schwebten und dann den Schnitt ausführten. Vielleicht lag es an dem üblen Geruch aus der Schale oder dem Modergeruch des Kellerraums, dass ich glaubte, das Buch würde zusammenzucken und ausatmen.
    Polidoris Ziel war es, die verbrannten und verschmolzenen Seiten voneinander zu trennen, und das war eine heikle Angelegenheit. Er benutzte eine verwirrende Anzahl von Instrumenten, mit denen er die schwer beschädigten Blätter voneinander zu lösen versuchte. Manchmal ging es gut. Manchmal riss ein Stückchen ab und Polidori murmelte einen Fluch.
    Es wurde immer wärmer in dem Raum, als würde neben uns ein großer Ofen brennen. Schweiß rann mir in die Augen, und ich zwinkerte, um wieder klar sehen zu können. Gebannt blickte ich auf Polidoris ruhige Hände und die Spitzen seiner Instrumente. Einen Augenblick lang schien das Buch gar kein Buch zu sein, sondern ein lebendiger Körper, und anstelle von Papier sah ich pulsierende Eingeweide, Blut und Organe. Dazu schien das Buch – und das war besonders eigenartig und abstoßend – den Geruch von Schlachthof, Gedärmen und anderen Innereien zu verströmen.
    Ich fragte mich, ob mein Geist mir nicht etwas vorgaukelte, doch als ich Elizabeth anblickte, sah ich, wie sie die Nase rümpfte. Sie suchte zwar Halt mit einer Hand, doch beim Betrachten dieser eigenartigen Operation an Paracelsus’ Buch zuckte sie mit keiner Wimper.
    »Ich habe so viel getan, wie ich kann«, sagte Polidori schließlich und trennte mit einer schnellen Bewegung die Seiten heraus, an denen er gearbeitet hatte. Er packte sie mit gepolsterten Pinzetten und hielt sie über die Schale mit der Flüssigkeit.
    »Junger Herr«, sagte er zu Henry, »stellen Sie die Uhr auf sechzig Sekunden. Und seien Sie jetzt ganz genau!«
    Henry griff nach dem verzierten Zeitmesser, zog den schlanken Zeiger zurück und hielt ihn fest.
    »Und jetzt … los!«, schrie Polidori und tauchte die verkohlten Blätter in die blutige Flüssigkeit, wo er sie behutsam hin und her schwenkte. Zuerst klebten sie weiter zusammen, aber dann nach wenigen Augenblicken trieben sie auseinander.
    »Sie haben sich gelöst!«, rief Elizabeth aufgeregt.
    Polidori ordnete die Blätter in der Schale nebeneinander an. »Und jetzt ist die Zeit von entscheidender Bedeutung.«
    »Was macht diese Flüssigkeit?«, fragte ich.
    »Sie holt zurück, was verloren war. Aber nur eine Sekunde zu lang und wir verlieren alles für immer.«
    Wie gebannt starrten wir auf die Schale. Zwanzig Sekunden, dreißig … Nichts passierte. In dem roten Licht schwebten die geschwärzten Seiten so unleserlich wie zuvor in der Flüssigkeit. Vierzig Sekunden …
    »Seht mal!«, flüsterte Elizabeth.
    Etwas geschah. In der Schwärze der Seiten erschienen blasse Kratzer – vollkommen unleserlich, aber doch etwas.
    »Es kommt …«, sagte Polidori mit rauer Stimme. »Es

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