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Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Titel: Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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helfen?«
    »Ihre Eltern, junger Herr, wissen sie von diesem Besuch?«, fragte er.
    »Nein.«
    Polidori blickte hinaus zur Straße, als hätte er Angst, jemand würde uns beobachten. Dann schaute er uns drei an, als zögerte er noch einmal, doch dann richtete er seinen Blick zurück auf den Paracelsus.
    »Kommen Sie«, sagte er. »Bringen Sie Ihre Bücher in mein Sprechzimmer. Schauen wir sie uns einmal an.«
    Er führte uns in den dämmrigen Raum hinter der Theke. Auch er war von Regalen gesäumt, doch darin standen Bücher statt Fläschchen und Dosen. Der ausgeblichene Orientteppich war von Rollstuhlspuren zerfurcht. Zwei Sessel und ein abgewetztes Sofa standen um einen kleinen offenen Kamin. Auf einem Tisch befanden sich noch Reste seiner letzten Mahlzeit. Er lebte wirklich bescheiden.
    Wir waren noch keine fünf Schritte im Raum, als sich aus dem Dunkeln etwas auf Polidori stürzte. Elizabeth und ich schnappten hörbar nach Luft und Henry schrie laut auf.
    Polidori drehte seinen Stuhl zu uns herum, und wir alle starrten auf das außergewöhnliche Wesen, das sich in seinem Schoß zusammengerollt hatte.
    »Das ist aber eine sehr große Katze!«, bemerkte Henry mit einer deutlich höheren Stimme als sonst.
    Es war wirklich ein prachtvolles Tier mit einem geschmeidigen, lang gestreckten Körper und kurzem Schwanz. Das gelbbraune Fell war mit dunklen Tupfen bedeckt. Der weiß und schwarz gestreifte Pelzfleck auf seiner Brust sah fast wie eine Fliege aus und Büschel steifer, schwarzer Haare ragten von den Spitzen seiner dreieckigen Ohren auf.
    Ich schaute Elizabeth an und sie erwiderte meinen fragenden Blick.
    »Ist das vielleicht«, fing sie unsicher an, »ein …«
    »Ein Luchs, ja«, sagte Polidori mit einem Lächeln und hatte sichtlich Spaß daran, wie überrascht wir waren.
    »Aha«, meinte Henry ein bisschen lahm.
    Viele wilde Tiere bevölkerten die Wälder rund um den See: Bären und Wölfe, Gämsen und eben auch Luchse, die selbst noch ganz oben in den Hochalpen leben konnten.
    »Ich wusste gar nicht, dass man sie auch als … Haustiere halten kann«, gab ich zu.
    Polidori hob die Augenbrauen, als würde er meine Wortwahl kritisch bedenken. »Er ist ziemlich zahm. Er ist zu mir gekommen, als er noch ganz klein war, und ist so liebenswürdig wie jede andere Hauskatze. Stimmt’s, Krake?«
    Polidori kraulte Krake kräftig das Fell zwischen den Ohren, und der Luchs gähnte hingebungsvoll, wobei er seine tückisch spitzen Zähne zeigte. Dann sprang er vom Schoß seines Herrn und trottete auf mich zu, beschnüffelte mich und rieb sich dann so fest an meinen Beinen, dass er mich fast umgeworfen hätte.
    »Er mag dich, Victor«, meinte Henry.
    »Und ich mag Krake«, sagte ich gewollt herzlich und tätschelte den Kopf des Tieres. Es blickte mit seinen grünen Augen zu mir auf, was mich etwas verunsicherte, so eindringlich war sein Blick. Dann sprang der Luchs zu meiner Erleichterung wieder auf Polidoris Schoß.
    Polidori bat uns, Platz zu nehmen, und streckte die Hand aus. »Darf ich?«
    Ich gab ihm den Paracelsus-Band und er nahm ihn behutsam entgegen. Schweigend betrachtete er Buchrücken und Bindung, bevor er das Buch aufschlug. Lange Zeit betrachtete er das Bild des Autors und blätterte dann weiter in den angebrannten Seiten, wobei seine vorsichtigen Finger kaum das kleinste verkohlte Stückchen abbrachen.
    Als er zu der Seite mit dem Anfang des Alphabets der Magier kam, hielt er inne. Ich merkte, dass ich die Luft angehalten hatte, und stieß sie geräuschvoll aus. Krake drehte mir den Kopf zu und blickte mich streng an.
    »Es ist unlesbar«, sagte ich.
    »Wir hatten gehofft«, sagte Elizabeth leise, »dass Sie vielleicht ein anderes Buch mit einer Übersetzung kennen.«
    Polidori schüttelte den Kopf. »Es gibt keines, das kann ich Ihnen mit Sicherheit sagen. Aber das hier …«, er tippte vorsichtig mit dem Finger auf die verschmolzenen Seiten, »ich glaube, für das gibt es noch ein bisschen Hoffnung.«
    »Wirklich?«, stieß Henry hervor, und in seiner Stimme lag die Freude und Überraschung, die auch ich empfand.
    »Vielleicht«, meinte Polidori. »Ich habe einige Erfahrung damit, Texte zu rekonstruieren, die … sagen wir mal, beschädigt sind. Gehen wir in meine Werkstatt.«
    Ich hatte erwartet, dass er uns wieder nach vorne in den Laden führen würde, doch er bewegte seinen Rollstuhl in die entgegengesetzte Richtung, durch eine weitere Tür und einen kurzen Gang entlang. Ich sah eine sehr kleine Küche

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