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Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Titel: Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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überprüfte die Position seiner Figuren sorgfältig und verstand fast sofort seine listige Strategie. Sie war sehr gut. Wenn ich nicht vorsichtig wäre, würde er mich in drei Zügen schlagen. Ich machte den Zug für ihn. Dann drehte ich das Brett um und machte meinen Zug.
    Vorgebeugt auf dem Stuhl spielte ich gegen mich selbst, und ich kannte Konrad so gut, dass es fast so war, als spielte ich wirklich für ihn. Doch plötzlich überkam mich tiefe Traurigkeit. Plötzlich war mir wieder deutlich, wie schrecklich er mir fehlte und wie sehr ich mich danach sehnte, dass er geheilt aus seinem Bett aufstehen würde.
    »Wir hatte einen ziemlich aufregenden Tag«, flüsterte ich in sein schlafendes Gesicht.
    Seit wir aus Genf zurück waren, hätte ich ihm am liebsten alles erzählt, doch ich wusste, es wäre besser, es geheim zu halten. Nun, dachte ich, könnte ich es zumindest aussprechen.
    »Ich hab einen tollen Plan, wie wir die Zutaten für das Elixier des Lebens zusammenbringen. Und wenn das geschafft ist, dann kannst du es trinken.«
    Er bewegte sich im Schlaf und drehte den Kopf weg, als würde er mir nicht glauben.
    »Ich verspreche es«, sagte ich und küsste ihn auf die Stirn. »Wenn dich sonst niemand gesund machen kann, dann tu ich es.«
    In der Nacht wachte ich plötzlich mit dem furchtbaren Gefühl auf, dass jemand in meinem Zimmer war.
    Vorsichtig spähte ich durch meine Bettvorhänge und sah mein in Mondlicht gebadetes Zimmer. Elizabeth stand im Nachthemd am Fenster und blickte über den See.
    »Elizabeth?«, fragte ich leise. »Was ist los? Ist es wegen Konrad?«
    Auf einmal hatte ich Angst, dass sie gekommen war, um mir eine schreckliche Nachricht zu überbringen, doch sie drehte sich nicht um. Sie hatte mich gar nicht gehört.
    Im Mondlicht war ihr Gesicht gespenstisch blass und sie hatte die Stirn gerunzelt. Sie schien etwas im Arm zu halten und schaute immer wieder ängstlich darauf nieder.
    »Elizabeth?«
    Keine Antwort. Sie war wach und schlief doch.
    Das passierte nicht zum ersten Mal. Ganz zu Anfang, als sie als kleines Mädchen zu uns gekommen war, war sie oft schlafgewandelt. Meine Eltern fanden sie auf den Fluren, wie sie verwirrt um sich blickte oder intensiv auf irgendetwas Unsichtbares starrte. Vater sagte, ihr Geist sei durch die großen Veränderungen in ihrem Leben zeitweilig verwirrt und würde sie selbst im Schlaf nicht zur Ruhe kommen lassen. Daher würde sie in den frühen Morgenstunden durch das Haus wandern und versuchen, die Dinge zu entwirren. Mit der Zeit würde das vorübergehen, meinte er.
    Einmal war ich in diesen ersten Monaten erschrocken aufgewacht und hatte dann bemerkt, dass sie fest an mich gepresst dalag und mich mit ihren dünnen Armen zitternd umklammerte. Ich hatte nicht gewagt, sie zu wecken, denn Vater hatte gesagt, man solle nie jemanden wecken, der schlafwandelt. Daher war ich einfach ganz still liegen geblieben. Allmählich hatte das Zittern aufgehört, ihr Atem beruhigte sich und wir beide schliefen ruhig weiter. Am Morgen war es ihr sehr peinlich gewesen, dass sie in einem fremden Bett lag, und sie weckte mich mit einem Schlag gegen die Schulter, bevor sie aus meinem Zimmer stolzierte.
    Aber das war lange her, als wir kaum älter als sieben Jahre alt waren.
    Nun waren wir fünfzehn, und ich hatte fast Angst, mich ihr zu nähern, denn sie schien eine gespenstische Kraft auszustrahlen. Sie war sie selbst und war es doch nicht, und es wirkte, als befinde sich eine Fremde im Zimmer. Ich dachte, ich sollte sie möglichst behutsam in ihr eigenes Zimmer führen. Vater hatte gesagt, am besten wäre es, mit einem schlafwandelnden Menschen ganz ruhig und sachlich zu reden.
    »Elizabeth«, sagte ich. »Komm her.«
    Als sie sich zu mir umwandte, zeigte ihr Gesicht große Angst. In den Armen wiegte sie eine alte Puppe. Mich schauderte, denn ihr Blick schien geradeswegs durch mich hindurchzugehen, zu jemandem, der direkt hinter mir stand.
    »Das Baby ist nicht tot«, sagte sie heftig.
    »Nein«, sagte ich.
    »Ihm ist nur kalt.«
    »Ja«, sagte ich.
    »Es braucht Wärme.« Ihr Blick war so drängend und eindringlich, dass ich für einen Augenblick die Puppe ansah, um mich zu versichern, dass sie nicht wirklich lebendig war. »Mehr nicht. Nur ein bisschen Wärme und dann geht es dem Baby wieder gut.«
    »Du wärmst es doch schon«, sagte ich beruhigend. In ihrem Blick lag etwas so Kindliches und Flehendes, dass es mir ins Herz schnitt. »Bald ist es wieder wunderbar warm und

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