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Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Titel: Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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glücklich.«
    Sie schaute auf die Puppe nieder und massierte sie mit der Hand. »Ja«, sagte sie dann.
    »Siehst du«, sagte ich. »Dem Baby geht es gut. Ich bin sicher, es braucht nur ein bisschen Schlaf. Ich zeig dir den Weg.«
    Dann bewegte ich mich behutsam auf die Tür zu und schaute zurück, ob sie auch mitkam. Schnell zündete ich eine Kerze an und ging durch den Flur zu ihrem Zimmer. Die Tür stand weit offen. Drinnen zeigte ich auf ihr Bett, dessen Bettzeug völlig zerwühlt war.
    »Siehst du«, sagte ich. »Du und dein Baby, ihr könnt jetzt hier schlafen.«
    »Im Bett ist es bestimmt warm.«
    »Natürlich.«
    Ich versuchte noch, die Laken für sie glatt zu streichen, doch ehe ich damit fertig war, legte sie sich schon hin, die Puppe noch immer fest im Arm. Die Augen hatte sie bereits geschlossen und war sofort fest eingeschlafen. In ihrem Schrank fand ich eine Decke, mit der ich sie vorsichtig zudeckte. Einen Moment lang beobachtete ich sie noch, dann verließ ich das Zimmer.
    Beim Frühstück erwähnte Elizabeth ihr Schlafwandeln mit keinem Wort. Sie wusste von nichts mehr, und ich hatte keineswegs die Absicht, sie daran zu erinnern.

5. Kapitel
Dr. Murnau
    Am Morgen des nächsten Tags traf der berühmte Dr. Murnau auf dem Schloss ein.
    Ich hatte einen würdevollen, grauhaarigen Herrn erwartet, der Wissen und ruhige Zuversicht ausstrahlte. Doch dieser Bursche war überraschend jung. Er konnte nicht älter als dreißig sein und sah aus, als würde er selbst einen Arzt brauchen. Ich glaube, ich habe noch nie jemanden gesehen, der so blass und dünn war. Seine Hände waren fast schon skelettartig. Und die tränenden Augen hinter seiner staubigen Brille wirkten ständig erschrocken.
    Er sollte mindestens eine Woche bei uns bleiben, und Vater hatte ihm einen der Räume im Turm mit dem benachbarten Salon gegeben, den er als Behandlungszimmer und Labor benutzen konnte. Als seine Kutsche nach dem Frühstück ausgeladen wurde, zählte ich nicht weniger als sechs Koffer, die sicherlich voller Chemikalien und Geräte waren.
    Vater sagte, Dr. Murnau habe an den bekanntesten Universitäten gelehrt und werde weithin als der beste und auch fortschrittlichste Heiler in Europa angesehen. Wenn irgendjemand ein Heilmittel für Konrad erdenken könne, dann wäre er das.
    Eine ganze Stunde brachte Dr. Murnau damit zu, meinen Bruder zu untersuchen, und während der ganzen Zeit wanderten Elizabeth und ich auf dem Flur hin und her – außer wenn wir unsere Ohren an die Tür pressten.
    Als der Doktor dann endlich wiederauftauchte, machte er vor Überraschung tatsächlich einen kleinen Sprung, als er uns sah.
    »Und wie ist Ihre Diagnose, Herr Doktor?«, fragte ich.
    »Oh, tut mir leid, aber bis jetzt habe ich noch keine«, antwortete er mit nasaler Stimme.
    Ich war verwirrt und enttäuscht, denn er hatte so klug gewirkt. Die anderen Ärzten hatten nicht mehr als zwanzig Minuten gebraucht, um ihre Entscheidung zu fällen.
    »Ich werde noch viele andere Untersuchungen machen müssen«, sagte er mit einem nervösen Lächeln. »Nach dem Mittagessen lasse ich ihn zur Ader. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden …«
    »Er ist schon zur Ader gelassen worden«, wandte ich ein und dachte an den nutzlosen Dr. Bartonne.
    »Ja, das habe ich gehört«, antwortete Dr. Murnau.
    »Und das hat ihm nicht gutgetan«, ergänzte Elizabeth. »Es hat ihn nur noch schwächer gemacht.«
    Dr. Murnau nickte so heftig, dass ihm die Brille etwas auf der Nase herabrutschte und er sie mit seinem knochigen Finger wieder hochschieben musste. »Machen Sie sich keine Sorgen. Wissen Sie, es gibt sehr viele Ärzte, die großen Wert auf den Aderlass legen, doch ich gehöre nicht dazu. Es ist völlig nutzlos. Sie könnten ebenso gut – sagen wir – Druidengesänge anstimmen.« Er stieß ein kurzes, seltsam kicherndes Lachen aus. »Aber wenn ich sage, ich lasse Ihren Bruder zur Ader, dann meine ich, dass ich nur etwas von seinem Blut nehme – um es zu untersuchen.«
    »Untersuchen?«, fragte Elizabeth stirnrunzelnd.
    »Genau.« Er leckte sich über die Lippen. »Nur eine geringe Menge, wenn Sie nichts dagegen haben. Aber nun muss ich unbedingt noch etwas nachlesen.« Und mit einer ungelenken Verbeugung ließ er uns im Flur zurück.
    »Was hältst du von ihm?«, wollte ich von Elizabeth wissen.
    »Abgesehen davon, dass er ganz eindeutig nicht gesund ist?«, fragte sie.
    »Was kann er aus Konrads Blut erfahren?«, überlegte ich. »Außer dass er es in seinem

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