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Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Titel: Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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meiner Laterne hinein. Obwohl die Schönheit des Sees und die Bergluft so nahe waren, war hier praktisch nichts davon zu spüren, denn nur hoch oben in den dicken Steinen gab es ein winziges vergittertes Fenster. Das Licht meiner Laterne fiel auf Inschriften an der Mauer. Ein Name: Guy de Montparnasse . Und nicht weit davon ein weiterer Name in verblasster Schrift. Ich suchte mit meiner Laterne die anderen Zellenwände ab und entdeckte noch fünf Namen – alles Gefangene zu unterschiedlichen Zeiten. Ich stellte mir vor, wie sie die Buchstaben in die Mauer kratzten, aber womit? Mit einem Blechlöffel? Mit einem abgebrochenen Fingernagel? Einem abgefaulten Zahn? Nur um ein Zeichen von sich zu hinterlassen. Ein Schrei an die Außenwelt. Eine Bitte, in Erinnerung behalten zu werden. Einen Augenblick lang verschlug es mir den Atem, doch dann zwang ich mich weiterzugehen zum nächsten Verließ und wieder zum nächsten, bis ich fand, was ich suchte.
    Ich hatte mich richtig erinnert. Ganz am Ende des Gangs befand sich eine größere Zelle. Vielleicht für die wichtigsten Gefangenen. Ein grober Holztisch stand da und ein paar Stühle und an der Wand waren einige Regalbretter angebracht.
    Das würde genügen.
    Ich stellte die Laterne auf den Tisch, legte die Mappe daneben, die Polidori mir gegeben hatte, und außerdem ein paar Messgeräte, die ich aus der Küche geschmuggelt hatte. Ich brauchte einen Ort, wo ich völlig im Geheimen arbeiten konnte, falls etwas verschüttet wurde oder ein verräterischer Geruch entstand, der meine Eltern auf mein Tun aufmerksam machen könnte.
    Vorsichtig nahm ich die Fläschchen mit den Zutaten heraus und stellte sie in einer Reihe auf, dann Mörser und Stößel und den Satz winziger Messlöffel. Wie versprochen, hatte mir Polidori die Anweisungen aufgeschrieben.
    Mein Labor. Ich war seltsam angespannt und aufgeregt. Bei meinen Schulaufgaben war ich das nie gewesen, sondern nur ungeduldig und nachlässig. Doch jetzt hatte ich den Auftrag, etwas zu schaffen, und ich war entschlossen, es gut zu machen.
    Polidori hatte nicht gelogen. Es war einfach, die Mischung herzustellen, und seine Anweisungen waren klar. Trotzdem war ich extrem nervös. Der Erfolg unserer Unternehmung konnte davon abhängen. Alles maß ich zweimal und sogar dreimal ab, bevor ich es in die Flasche gab. Und mit jedem abgeschlossenen Schritt wuchsen meine Befriedigung und auch mein Stolz.
    Als ich die letzte Zutat hineingoss, schreckten mich Schritte auf.
    »Ich bin’s nur«, wisperte Elizabeth, und ich sah den Schein ihrer Laterne draußen auf dem Gang, bevor sie in der Tür auftauchte. »Weißt du noch, als ich zehn war, habt ihr, du und Konrad, mich herausgefordert, ich würde es nicht wagen, hier eine halbe Stunde ohne Licht auszuharren.«
    »Und du hast es gemacht«, sagte ich lachend.
    »Natürlich«, sagte sie, kam in die Zelle und blickte auf den Tisch. »Ist es fertig?«
    »Ist es«, versicherte ich ihr, verstöpselte die Flasche und schüttelte sie kräftig.
    »Du bist sehr klug, Victor«, sagte sie.
    »Das hätte jeder machen können«, antwortete ich, freute mich aber trotzdem über ihr Lob.
    »Was genau ist das eigentlich?«, fragte sie. »Diese Sicht des Wolfs?«
    »Es ist nicht so teuflisch, wie es klingt. Polidori beschreibt das in seinen Notizen. Erinnerst du dich, wie Vater uns erklärt hat, wie das Auge funktioniert?«
    »Es ist wie eine Linse«, sagte Elizabeth. »Wenn es Licht braucht, öffnet sich die Pupille weiter, um es reinzulassen.«
    »Ja«, bestätigte ich. »Aber das menschliche Auge ist nicht daran gewöhnt, bei Dunkelheit gut zu arbeiten, anders als bei vielen Tieren. Dieses Präparat nun lässt unsere Pupillen sich mehr als üblich erweitern, damit wir auch noch das letzte verfügbare Restchen Sternenlicht nutzen können.«
    »Das klingt nachvollziehbar«, meinte sie. »Hast du es schon ausprobiert?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Dafür ist es nicht genug. Und wir müssen es sparsam verwenden und nur, wenn es notwendig ist, denn es wirkt nur ungefähr eine Stunde. Und dann dürfen wir es für mindestens einen Monat nicht mehr verwenden.«
    »Warum?«
    »Es kann das Augengewebe beschädigen.«
    »Das klingt aber nicht so ganz ungefährlich«, bemerkte sie.
    »Polidori sagt, es sei ungefährlich, solange wir uns an die Anweisungen halten.«
    Sie und Henry hatten eine ordentliche Menge leichtes Seil gefunden und in regelmäßigen Abständen Knoten eingebunden, sodass wir daran hochklettern

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