Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)
funktioniert wirklich!«
Ich drehte mich zu Elizabeth um und das Licht ihrer Laterne stach mir schmerzhaft in die Augen.
»Das ist zu hell für mich«, sagte ich und drehte mich schnell wieder weg.
»Gib mir auch was«, sagte sie und stellte die Laterne ab.
»Zuerst tut es sehr weh«, warnte ich sie.
»Ich will auch die Sicht des Wolfs!«
»Also gut, komm näher.« Ich ließ sie den Kopf nach hinten legen und ihre schöne blasse Kehle schien in der Nacht aufzublitzen. Dann ließ ich je einen Tropfen in ihre braunen Augen fallen.
»Ah!«, schrie sie, und ihre Fäuste flogen in ihr Gesicht, genau wie meine es getan hatten. »Wasser! Bitte, Victor, bitte!«
»Nein!«, sagte ich und hielt sie fest, als sie wimmernd gegen mich ankämpfte. Dann machte sie die Augen auf, wurde still und rückte von mir ab.
»Ich sehe dich, als würde es gerade erst dämmern«, sagte sie.
»Ja.«
Einen Augenblick schauten wir uns nur mit unseren Wolfsaugen an. Sie sah verändert aus. Vielleicht lag das an dem Pelz um ihren Hals, aber plötzlich wirkte sie wie ein geschmeidiges Tier.
»Henry«, fragte ich, wobei ich mein Gesicht vor dem Licht seiner Laterne abschirmte, »willst du auch was nehmen?«
»Will ich nicht«, erwiderte er, und ich konnte seine Angst geradezu riechen, wie er uns argwöhnisch betrachtete, als hätten wir uns irgendwie verändert.
»Dann mach die Laternen aus«, sagte Elizabeth zu ihm. War ihre Stimme tiefer, fast schon heiser? Oder bildete ich mir das nur ein?
»Ich halte es für klug, wenn meine anbleibt«, sagte Henry. »Das hält die Tiere auf Abstand.«
»Na gut«, brummte ich, obwohl ich jetzt keine Angst mehr vor anderen Tieren hatte. »Geh hinter uns, damit wir nicht geblendet werden.«
»Da ist die Lichtung«, sagte Elizabeth und zeigte nach vorn.
Vorher wären wir vielleicht direkt daran vorbeigelaufen, doch jetzt konnten wir sie deutlich sehen. Ich drängte mich schnell durch das Unterholz hinaus und kam vor einem großen Haufen ausgebleichter Knochen zum Vorschein. Die Haare sträubten sich mir im Nacken.
Ich legte den Kopf etwas schief und versuchte, mir einen Reim darauf zu machen. Leise atmend hockte sich Elizabeth neben mich hin. Einen Augenblick später ließ Henrys Laterne die Knochen aufblitzen und er stieß einen Schrei aus.
Es war schwer zu sagen, von welchen Tieren die Knochen stammten, denn die meisten waren völlig zersplittert und zerbrochen.
»Was für ein Tier hat das wohl gemacht?«, fragte Henry keuchend.
Dann sah ich ein paar größere Knochen. Unwillkürlich schnüffelte ich. Ein Kaninchen? Ein wilder Hund? Ich wusste es nicht.
»Die meisten sind ziemlich klein«, sagte Elizabeth.
Ich stieß ein tiefes Knurren aus, als einer der Knochen zuckte, und hatte die furchterregende Vision, der ganze Haufen würde sich gleich zu einem monstermäßigen Gespenst zusammenfügen und uns verschlingen. Doch fast sofort konnte ich einige kleine Tiere erkennen, die sich zwischen den Knochen bewegten und die letzten Reste an Fleisch und Mark fraßen.
Elizabeth kicherte leise und blickte nach oben in den finsteren Himmel.
»Vögel«, sagte sie. »Die haben diesen Haufen gemacht. Erinnerst du dich, wie uns Vater von den Lämmergeiern erzählt hat? Wie sie ihre Beute auf Felsen fallen lassen, damit die Knochen brechen und sie leichter an das Mark kommen?«
»Die Stunde muss ich verpasst haben«, warf Henry ein. »Was ist ein Lämmergeier?«
»Man nennt ihn auch Bartgeier«, murmelte ich. »Die Einheimischen nennen ihn auch Vogel Greif. Sie sind ziemlich groß.«
»Ach, wunderbar«, antwortete Henry. »Dieses Abenteuer wird mit jeder Sekunde erfreulicher.«
»Wohin jetzt?«, fragte mich Elizabeth. Ihr Körper verströmte eine Wärme, die ich seltsam verwirrend fand.
Ich zog die Karte heraus. »Von hier aus verläuft ein Wildwechsel, der uns direkt zu dem Baum führen müsste.«
Leicht nach vorne gebeugt, stürmte Elizabeth schon los. Ich folgte ihr.
»Bitte wartet auf mich«, sagte Henry. »Das sieht nicht aus wie ein Pfad!«
»Ist nur überwuchert«, gab ich grob zur Antwort. Mit meinen Wolfsaugen konnte ich den Weg sehen wie einen silbernen Bach, der tiefer in den Wald führte.
Ich trabte hinter Elizabeth her und nahm den steilen Anstieg gar nicht wahr.
»Ihr seid zu schnell«, hörte ich Henry sagen. »In der Dunkelheit verliere ich euch noch!«
Widerwillig wurde ich langsamer. Die Gerüche des Waldes waren intensiver geworden, und ich merkte, wie ich den Kopf
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