Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)
für verrückt?«
Er wischte sich die Augen. »Noch nicht. Aber erzähl doch mal, was du da machst?«
»Na ja«, sagte ich, »zuerst war es nötig, den Urin zu einem Brei einzukochen.«
»Natürlich.« Er legte die Hände auf den Rücken und begutachtete den Tisch wie ein aufgeblasener Lehrer.
Es war schwierig, nicht wieder in Gelächter auszubrechen.
»Danach musste ich den Brei in Gasform umwandeln …«
»Gasform! Ausgezeichnet!«, sagte er. »Übrigens gefallen mir diese kleinen Glasschnörkel.«
»Sie machen es möglich, das Gas durch das Wasser zu leiten, um … Also, das will ich dir noch nicht erzählen. Aber du wirst staunen.«
»Bestimmt. Wo hast du das alles gelernt?«
»Eisenstein«, sagte ich und deutete auf das grüne Buch auf dem Tisch.
»Das ist doch auch aus der Dunklen Bibliothek, oder?«
Ich nickte.
»Hoffentlich überprüft Vater nicht die Regale. Und wie kannst du den Gestank ertragen?«
»Ich bemerke ihn gar nicht mehr.«
»Komm mit, du brauchst ein bisschen frische Luft, kleiner Bruder. Henry und ich wollen auf dem See rudern. Deine Gesellschaft ist gefragt.«
Als er mich so anlächelte, stach mich mein Gewissen. Ich hatte seinen Kuss von Elizabeth gestohlen. Ich hatte eifersüchtige und egoistische Gedanken gehabt. Ich war wirklich ein Schuft.
»Gleich«, versprach ich. »Ich bin fast fertig. Macht ihr das Boot schon mal klar, ich bin in einer halben Stunde bei euch.«
»Aber ist er denn schon kräftig genug?«, fragte Mutter besorgt am nächsten Tag beim Mittagessen.
Wir hatten unseren Eltern gerade erzählt, dass wir vorhatten, in die Hügel zu reiten.
Vater musterte Konrad, der mit großer Begeisterung sein Würstchen mit Bratkartoffeln aß. »Sieh ihn dir an, Caroline. Er strotzt vor Gesundheit. Ich weiß keinen Grund, warum sie morgen ihren Ausflug nicht machen sollten.«
Konrad sah tatsächlich gut aus. Er hatte sich das verlorene Gewicht schon fast wieder ganz angefuttert und sein Gesicht war nicht mehr so schmal.
»Es wird nicht so anstrengend sein«, sagte ich und goss mir noch etwas Apfelsaft ein. »Wir wollen bloß ein bisschen angeln, in den Bergen herumwandern und ein gemütliches Picknick machen.«
»Und es ist Henrys letzter Tag bei uns«, brachte Konrad in Erinnerung, denn Henrys Vater war von seiner Reise zurückgekehrt. »Es ist unsere Abschiedsfeier.«
»Und wenn Konrad zu müde wird«, bemerkte Elizabeth, »kann er sich auf eine Decke legen wie ein Sultan und wir füttern ihn mit Beeren und fächeln ihm Luft zu.«
Mutter seufzte. »Na gut. Wenn ihr versprecht, vor Sonnenuntergang zurück zu sein. Henry, du bist der Besonnenste von euch vier. Ich übertrage dir die Verantwortung, dass alle sicher nach Hause kommen.«
»Das verspreche ich, Madame Frankenstein«, sagte Henry.
»Danke, Mutter«, sagte Konrad. »Und jetzt werde ich Victor im Fechten vernichtend schlagen und beweisen, dass ich wieder ganz auf der Höhe bin.«
»Rechne mal nicht zu sicher damit«, erwiderte ich.
»Treffer!«, rief Konrad.
»Dein Punkt.« Ich keuchte, als wir erneut die Ausgangsposition einnahmen. Es war diesmal kein offizieller Fechtkampf – nur wir zwei in der Waffenkammer. Konrad hatte ihn sich gewünscht, um seine Form einzuschätzen. Und verdammt, er lag in Führung!
»En garde!« , sagte ich und hielt mein Florett in Bereitschaft.
»Allez!« , sagte Konrad und wir umkreisten uns.
Es war mein Angriff, und ich beobachtete ihn wie ein Falke, denn ich wusste, ich brauchte drei weitere Treffer, wenn ich gewinnen wollte.
»Du bist sehr gut, Victor«, sagte Konrad.
»Ohne meinen gewohnten Partner bin ich aus der Übung«, erwiderte ich.
Ich musste an unseren letzten Kampf denken. Mein Sieg über ihn war nicht ganz echt gewesen, denn er war damals ja schon krank.
»Es gibt da etwas, das ich dir erzählen muss«, sagte Konrad. »Es hat mir ein schlechtes Gewissen bereitet, dass ich es so lange vor dir geheim gehalten habe. Du und ich, wir sollten keine Geheimnisse voreinander haben.«
»Was ist das für ein Geheimnis?« Ich war froh, dass mein Gesicht verdeckt war.
»Ich liebe Elizabeth.«
»Wirklich?« Ich ließ mein Florett sinken, als wäre ich überrascht, und dann machte ich einen Ausfall. Er parierte schwach und war völlig ungedeckt für meinen Nachstoß. Ich traf seinen Bauch.
»Gut gemacht«, meinte er und wich zurück.
Jetzt hatten wir Gleichstand.
»Hast du davon gewusst?«, fragte er, als wir zurücktraten und uns bereit machten, den Durchgang
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