Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)
und ihre Worte wärmten mich.
Hinter uns sah ich, wie das Wasser immer noch aus dem Tunnel emporquoll, dann abbog und sich als schäumende Sturzflut in den seitlich abfallenden Tunnel ergoss. Einen Moment lang saßen wir nur da und schauten zu, benommen und erschöpft.
»Das Licht ist wunderbar«, sagte Elizabeth, »aber hat einer von euch Kleider zum Wechseln mitgebracht?«
Unglücklich schüttelte ich den Kopf, ebenso Konrad. Wieso nur hatten wir nicht daran gedacht?
»In dem Höhlenbuch, das ich gefunden habe«, sagte Elizabeth schlotternd, »heißt es, dass die meisten Menschen durch Nässe und Kälte umkommen. Deshalb hab ich einen wasserdichten Beutel mit Kleidern zum Wechseln eingepackt, für mich – und auch für euch.«
»Elizabeth …«, fing ich an und dann fehlten mir vor Dankbarkeit und Bewunderung die Worte.
»Danke«, sagte Konrad heiser.
»Und jetzt«, befahl sie, während sie in ihrem Rucksack wühlte und trockene Kleidung für uns hervorholte, »zieht ihr eure nassen Klamotten aus. Seht zu, dass ihr euch so gründlich abtrocknet wie möglich, ehe ihr die frischen anzieht.« Sie schaute uns ungeduldig an. »Nun macht schon. Ich schau nicht hin und ihr dürft das auch nicht.«
Sie drehte uns den Rücken zu und ging ein Stück in den Tunnel, um sich umzuziehen.
Zitternd zog ich mich aus und versuchte, mir das Wasser von der Haut zu wischen. In dem grünen Licht sah ich aus wie ein verschrumpelter Kobold. So kalt mir auch war, kostete es mich erhebliche Beherrschung, nicht den Kopf zu drehen und einen Blick auf Elizabeth zu werfen.
»Es ist ein Jammer, dass wir kein Feuer anzünden können, um uns aufzuwärmen«, meinte sie, als wir alle umgezogen waren.
»Wir müssen so schnell wie möglich nach oben«, sagte ich.
Auch in den trockenen Kleidern war mir kalt, und unsere Stiefel waren immer noch triefend nass, doch daran war nichts zu ändern.
»Wie spät ist es?«, fragte Elizabeth.
Konrad fischte in seiner Tasche herum und zog die Uhr heraus. »Das Ziffernblatt ist zerschmettert. Und was ist mit dir, Victor?«
Als ich meine herauszog, sah ich, dass sie voll Wasser war und die Zeiger bewegungslos auf drei Uhr standen. Das zeigte ich meinem Bruder.
»Dann wird es wohl bald vier sein«, sagte er.
»Wir haben drei Stunden gebraucht, bis wir hier unten ankamen«, sagte ich, »und da ging es bergab und wir waren ausgeruht.«
»Los, weiter!«, forderte Elizabeth uns auf. »Von der Anstrengung wird uns warm werden. Und dein wunderbares grünes Licht wird dafür sorgen, dass wir meine Markierungen nicht übersehen.«
Schweigend gingen wir los. Selbst wenn ich gewollt hätte, hätte ich nicht sprechen können, so sehr klapperten meine Zähne. Ab und zu zwangen wir uns, von unserem durchnässten Proviant zu essen und kaltes Wasser aus unseren Flaschen zu trinken.
Ein Fuß vor den anderen. Ich wusste nicht, ob mir langsam wärmer wurde oder mein Körper immer tauber. Ich wusste nicht, was ich eigentlich fühlte – bis ich plötzlich auf dem Boden hockte, Elizabeth neben mir.
»Seine Wunden bluten stark«, sagte sie zu Konrad.
»Ist nicht schlimm«, sagte ich.
»Du bist fast ohnmächtig geworden, Victor.« Sie zog neue Binden aus ihrem Rucksack, entfernte die alten und verband die Wunden erneut, dann stand ich auf.
»Wie fühlst du dich?«, fragte Konrad.
»Sehen wir einfach zu, dass wir hier rauskommen«, sagte ich.
Hier unten gab es keine Zeit. Uralter Fels, uralter Fisch. Ich wäre nicht erstaunt gewesen, wenn inzwischen über der Erde ein Jahrhundert vergangen wäre. Ich hätte ebenso gut schlafwandeln können, selbst als ich mich erneut durch den Geburtskanal des Tunnels quetschte und über die Spalte beim Wasserfall sprang. Und dann immer weiter.
Aber wir hatten unseren Kopf des Quastenflossers. Das war es, was ich mir immer wieder sagte, während wir uns weiterschleppten und unseren Körper aus den Eingeweiden der Erde zerrten. Das war es, was mich in Bewegung hielt.
Als wir die Höhle mit unserem Seil erreichten, wäre ich fast in Tränen ausgebrochen – vor Dankbarkeit, aber auch aus Verzweiflung, weil ich mir nicht vorstellen konnte, noch die Kraft für diese letzte Kletterei zu besitzen. Ich hockte mich auf die unterste Stufe des steinernen Podests und holte tief Atem.
»Victor! Elizabeth! Konrad!«
Die Stimme kam von oben und mit ihr der Schein einer Fackel.
»Henry?«, rief ich. »Henry?«
Ich blickte in die Höhe und sah sein Gesicht über den Rand des Lochs gebeugt.
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