Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)
»Du bist ein echter Freund.«
»Nimm meine Hand, wenn es gegen den Schmerz hilft. Pack so fest zu, wie du willst.«
Ich wackelte mit meinen Fingern, die gleich amputiert werden sollten, und betrachtete sie eingehend. Ich glaubte nicht so richtig, dass ich sie wirklich gleich verlieren würde, denn meine Gedanken wichen immer wieder von der Vorstellung ab und weigerten sich, mich das Ganze vollständig verstehen zu lassen.
Und doch – gleich würden sie weg sein.
Plötzlich bemerkte ich, wie eine gefräßige animalische Angst in mir lauerte. Ich konnte nicht länger tapfer sein.
»Machen Sie es!«, schrie ich. »Machen Sie es jetzt!«
»Junge Dame, wenn Sie dafür sorgen könnten, dass alles hier sauber bleibt.«
Elizabeth setzte sich mit dem Rücken zu mir auf einen kleinen Stuhl, und ich war dankbar dafür, dass sie mir die Sicht versperrte. Dann spürte ich, wie mein kleiner Finger mit einem Holzkeil von seinen Kameraden getrennt und nach außen gespreizt wurde, damit mein Chirurg es einfacher hatte.
»Ich werde mich beeilen«, versprach Polidori.
Dann spürte ich die flüchtige, leichte Berührung der Meißelschneide an der Stelle, wo mein kleiner Finger in den Handteller überging. Dann wurde das Instrument wieder weggenommen.
»Nein, ich denke, der schmalere, bitte«, sagte Polidori zu Elizabeth.
Ein zweiter kalter Meißel wurde an meinem Finger angesetzt, diesmal stärker und schärfer, prüfend. Dann sah ich kurz Polidoris weit ausholenden Arm mit dem Hammer in der Hand und kniff die Augen fest zusammen. Was folgte, war ein Schlag, der mir durch jeden Knochen und jede Sehne meines Körpers bis hinein in die Spitzen meiner Zahnwurzeln ging.
Da war kein Schmerz, nicht der geringste – noch nicht.
»Bitte stillen Sie das Blut«, hörte ich den Alchemisten zu Elizabeth sagen, »während ich mit dem zweiten Finger fortfahre.«
Undeutlich spürte ich, wie der Holzkeil den zweiten Finger von den anderen trennte, fühlte wieder die Berührung eines Meißels an meiner Haut. Den Schlag, der meinen Finger für immer von meinem Körper trennte, spürte ich kaum.
»Es ist erledigt«, sagte Polidori …
Und dann kam der Schmerz. Wie ein Doppelblitz schoss er durch meine fehlenden Finger, mein Handgelenk und den Arm hinauf.
Ich schrie los. Ich weiß nicht, was ich von mir gab, nur dass ich Schreie und Flüche herausschleuderte und mein ganzer Körper schmerzte.
Ich hörte undeutlich, wie Polidori zu Henry sagte: »Bringen Sie mir bitte den Feuerhaken vom Herd.«
Zeit spielte jetzt keine Rolle mehr, denn fast sofort stand Henry da mit einem eisernen Feuerhaken, an dessen Spitze einige Zentimeter orangefarben glühten und meinen Freund fast schon teuflisch aussehen ließ.
Benommen schaffte ich es zu krächzen: »Wofür ist das?«
Dumpfer Schmerz pulsierte durch meine Hand – im Gleichtakt mit meinem rasenden Herzschlag. Ich stellte mir vor, dass mein ganzes Blut durch die Doppelwunde strömte, und alles verschwamm mir vor den Augen.
»Wir müssen die Wunde ausbrennen, junger Herr«, erklärte Polidori. »Um die Blutung zu stoppen und einer Infektion vorzubeugen.«
Ich sah, wie Henry einen kurzen Blick auf meine Hand warf und sein Gesicht alle Farbe verlor.
Rasch nahm Polidori den Feuerhaken. »Nehmen Sie die Watte weg«, sagte er zu Elizabeth.
Sie drehte sich zu mir um. Ihr Gesicht war angespannt, doch sie lächelte mich tapfer an. Dann legte sie ihre Hände auf meine Schultern und drückte ihre Wange an meine.
»Es ist fast vorbei«, flüsterte sie, und dann kam ein so überwältigender Schmerz, so unglaublich, dass es mich innerlich zusammenschnürte und ich trudelnd in die Dunkelheit abstürzte.
Als ich wieder zu Bewusstsein kam, stand Elizabeth über mich gebeugt und wischte mir die Stirn mit einem feuchten Tuch. Ich blickte sie an und dachte, dass es auf der ganzen weiten Welt nichts Schöneres gäbe. Nur allein die Erlaubnis, sie immer so anzublicken, würde mich zum glücklichsten Mann machen.
»Er ist aufgewacht!«, sagte sie, und dann erst bemerkte ich Henry, der auf meiner anderen Seite stand und mich besorgt ansah.
»Wie lange?«, krächzte ich.
»Zwei Stunden«, antwortete sie, beugte sich vor und küsste mich auf die Stirn. »Gott sei Dank, Gott sei Dank!«
Ihr Haar umspielte mich, ihr Duft umarmte mich, doch das war nicht genug, um den Schmerz abzuwehren. Er kam wie rasend, mit heißen, schweren, rhythmischen Hammerschlägen.
»Was ist mit meiner Hand?«, fragte ich.
»Es ist
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