Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)
gut gemacht worden«, sagte Elizabeth und nickte, als müsste sie sich das selbst ebenso versichern wie mir. »Sehr sauber und schnell. Und das Bluten hat fast ganz aufgehört.«
Sie trat etwas zur Seite, sodass ich meine Hand sehen konnte. Bandagen um meinen Handteller und besonders dick da, wo einmal mein Ringfinger und der kleine Finger gewesen waren. Ich wackelte mit meinen verbliebenen Fingern, um mich zu vergewissern, dass sie noch dran waren. Es sah gar nicht so seltsam aus. Man würde es kaum bemerken. Aber dann stellte ich mir kurz Mutters schmerzerfülltes Gesicht vor, wenn sie das in Kürze sehen würde, und Tränen stiegen mir in die Augen.
»Was hab ich getan?«, flüsterte ich. »Guter Gott …«
»Du hast die tapferste Sache getan, die ich je gesehen habe, mein Freund«, sagte Henry mit großem Nachdruck.
»Das hast du wirklich«, bestätigte Elizabeth.
Ich wandte meinen Blick von der für immer verkrüppelten Hand ab und sah Polidori auf der anderen Seite des Kellers fleißig über einen Arbeitstisch gebeugt.
Ich versuchte, mich aufzusetzen, und eine Welle von Übelkeit schlug über mir zusammen.
»Nur langsam«, sagte Henry und packte meinen linken Arm, um mich zu stützen. »Du hast eine Menge Blut verloren.«
»Hab ich das?«, fragte ich Elizabeth.
»Nicht so sehr viel«, antwortete sie und warf Henry einen bösen Blick zu. »Es hat nach mehr ausgesehen, als es war.«
Ich schwang meine Beine über die Tischkante und machte eine Pause, damit mein Magen sich beruhigen konnte, dann stellte ich mich auf. Der Boden schien sehr weit entfernt zu sein. Ich brauchte eine ganze Weile, um wieder zu Atem zu kommen. Henry und Elizabeth nahmen beide einen Arm und so schlurfte ich hinüber zu Polidori.
»Wie geht es mit dem Elixier?«
Er blickte nicht von seiner Arbeit auf. »Junger Herr, Sie sollten es sich lieber noch weiter bequem machen und sich ausruhen. Ihr Körper hat eine beachtliche Verletzung erlitten, und es dürfte nicht so erfreulich sein, meine Arbeit so genau zu sehen.«
Doch ich sah sie. Ich hörte Henry schlucken. Meine abgetrennten Finger lagen auf einem Metalltablett. Von dem einen waren bereits Haut, Gewebe und Muskeln entfernt worden, nur die Knochen selbst waren übrig. Da war viel Blut und schwammige Materie.
»Ich werde mir das nicht antun«, sagte Henry, ging durch den Raum und setzte sich an Polidoris mit Papieren übersäten Tisch.
Elizabeth und ich blieben. Sie schob mir einen Stuhl hin und half mir, mich zu setzen, denn ich war immer noch schwach und zittrig.
Es war schrecklich, doch auch seltsam faszinierend, Polidori zuzusehen, wie er ein kurzes, tückisch aussehendes Instrument nahm und einen der Knochen durchsägte. Dann machte er sich daran, mit einer extrem dünnen Nadel mit Widerhaken das Mark herauszuziehen und in ein Glas zu geben, das in einem mit Eis gefüllten Schälchen stand.
»Es ist wichtig, dass das Mark gekühlt wird«, murmelte er bei der Arbeit.
»Warum?«, fragte ich.
»Um das Leben des anregenden Geistes, der darin haust, zu verlängern«, erwiderte er. »Es wird angenommen, dass die größten Heilkräfte für alle menschlichen Wunder im Knochenmark liegen.«
Das klang äußerst seltsam und verwunderlich für mich, doch nicht so sehr viel anders als die Äußerungen Dr. Murnaus über das menschliche Blut und die vielen Zellen, die darin leben.
»Wie viele Portionen wird es ergeben?«, fragte ich. »Und wie sollen wir sie meinem Bruder verabreichen?«
»Es wird nur eine Portion sein«, sagte Polidori, »und die muss auf einmal durch den Mund eingenommen werden.«
Sobald er das ganze Mark aus den Knochen meines Ringfingers herausgelöst hatte, zog er gekonnt Haut und Gewebe von meinem kleinen Finger. Bei der Arbeit zeigte sein Gesicht eine enorme und völlig emotionslose Konzentration.
Auf einem Brett über seinem Arbeitstisch bemerkte ich zwei Fläschchen.
»Sind das die anderen Zutaten?«, fragte Elizabeth, die meinem Blick gefolgt war.
»Genau. Das Öl des Quastenflossers und die Mondflechte. Sobald ich alles Mark herausgezogen habe, werde ich die Zutaten mischen.«
»Wir können das Elixier also schon heute Abend mitnehmen«, sagte ich froh. Und Konrad würde es schon in wenigen Stunden von uns erhalten.
»Bedauerlicherweise nicht«, erwiderte Polidori, während er weiterarbeitete. »Das Elixier muss einen Tag ruhen, um seine ganze Kraft zu entwickeln. Sie müssen morgen wiederkommen und es abholen.«
Ganz schwach hörte man durch
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