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Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Titel: Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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die Kellerwände das Schlagen der Uhr von St. Peter. Acht Schläge.
    »Es ist besser, Sie gehen jetzt«, meinte der Alchemist. »Morgen habe ich es für Sie fertig.«
    »Er ist dem Tod sehr nahe«, sagte Elizabeth unruhig. »Und wenn er die Nacht nicht überlebt?«
    »Es tut mit leid, mein Fräulein, aber der Vorgang kann nicht beschleunigt werden.«
    »Können wir das Elixier denn nicht jetzt schon mit nach Hause nehmen?«, fragte ich verzweifelt. »Und es sicher aufbewahren, bis es fertig ist?«
    »Nein«, sagte Polidori. »Da gibt es noch eine letzte Maßnahme, die erst kurz vor der Einnahme erfolgen kann.«
    »Können Sie uns nicht ganz klare Anweisungen dafür aufschreiben?«, fragte Elizabeth.
    »Ihr Rezept für die Wolfsicht-Tinktur war sehr klar«, sagte ich. »Ich bin sicher, ich könnte …«
    »Es ist eine Maßnahme, die ich selbst durchführen muss«, sagte er in einem für ihn ungewöhnlich scharfen Ton. Dann wurde seine Stimme wieder weicher. »Ich denke nur an Ihren Bruder und daran, dass er sich bestmöglich erholen soll. Lassen Sie mich das für ihn tun. Wenn Sie nicht noch einmal kommen können, sende ich Krake, um Ihnen das Elixier zu liefern.«
    Selbst wenn ich nun bereit war zu warten, so wollte ich ihm doch nicht sagen, wo wir wohnten. Wenn er unseren Familiennamen herausfand, bestand die Gefahr, dass er aufbrauste und in seiner Wut sich weigerte, uns weiterhin zu helfen. Schnell überlegte ich mir eine andere Ausrede.
    »Aber Krake könnte das Fläschchen versehentlich zerbrechen. Es ist besser, wir nehmen es jetzt mit.«
    »Krake geht auf samtenen Pfoten«, antwortete Polidori. »Bei ihm wird es weniger zerbrechen als bei Ihnen. Es tut mir leid, aber es muss etwa einen Tag warten, damit ich die abschließenden Maßnahmen durchführen kann.«
    »Also können wir wohl nichts weiter tun«, murmelte ich. Dann schaute ich zu Henry auf der anderen Seite des Raums und sah, dass er mir drängende Blicke zuwarf.
    Vorsichtig erhob ich mich vom Stuhl. Ganz kurz musste ich mich am Sitz festhalten, bis ich mein Gleichgewicht fand.
    »Geht es?«, fragte Elizabeth.
    »Ja. Ich muss nur ein paar Schritte tun, damit ich den Kopf freibekomme.« Langsam steuerte ich auf Henry zu.
    Als ich ihn endlich erreichte, drückte er mir ohne ein Wort zu sagen einen Zettel in die Hand und legte den Finger an die Lippen. Auf den Zettel hatte er geschrieben: Er lügt.
    Henry tippte auf ein Blatt Papier auf Polidoris unordentlichem Tisch. Ich konnte sehen, dass es sich um einen Abschnitt der Übersetzung für das Elixier handelte, denn zwischen den vielen ausgestrichenen Stellen gab es Zeichen, die mir noch vom Alphabet der Magier im Gedächtnis waren. Und dann waren da noch einige andere Alphabete. Eines davon war griechisch. Griechisch war mein schwächstes Fach. Henry fuhr mit dem Finger über einen bestimmten Satz. Vergeblich versuchte ich, ihn zu entschlüsseln.
    Ich sah Henry an und schüttelte den Kopf. Ungeduldig winkte er mich näher und flüsterte mir ins Ohr: »Hier steht: ›Das Elixier muss innerhalb von vier Stunden eingenommen werden, nachdem die Bestandteile zusammengeführt worden sind.‹«
    Obwohl es im Keller so warm war, schauderte ich. Es war, als würde ich die Welt plötzlich in einem anderen Licht sehen. Der Dunst, der seit der Operation alles verschleiert hatte, verzog sich, und alles wurde schärfer sichtbar – und war sehr viel gefährlicher.
    Ich zwang mich dazu, fünfmal tief durchzuatmen, dann ging ich zurück zu Polidoris Arbeitstisch, wo er gerade dabei war, die Zutaten in einem einzigen Fläschchen zu vermischen.
    »Da ist es!«, sagte Elizabeth.
    Das Elixier des Lebens.
    Es sah nicht besonders beeindruckend aus. Es leuchtete nicht und brach das Kerzenlicht nicht in tausend vielversprechende Regenbogen. Es war schmutzig braun und ölig. Ich sah zu, wie Polidori den Stöpsel eindrückte und das Fläschchen in eine gut gepolsterte Umhüllung steckte
    »Herr Polidori«, sagte ich. »Wir haben es bisher nachlässigerweise versäumt, Ihnen eine Bezahlung anzubieten. Sie haben lange und schwer für uns gearbeitet und nichts dafür erhalten. Ich bitte um Entschuldigung. Sie müssen uns sagen, wie viel wir Ihnen für Ihre ausgezeichneten Dienste schulden. Wir können jetzt sofort den Betrag begleichen. Nennen Sie einfach Ihren Preis.« Wenn er vorhatte, uns um das Elixier zu betrügen, wenn er es womöglich jemand anderem für einen gewaltigen Betrag versprochen hatte, dann konnte ich vielleicht so

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