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Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Titel: Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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mein Knochenmark gab, würde Elizabeth ihres geben, und das war etwas, das ich nicht ertragen könnte.
    Polidori nahm die Meißel und wandte sich an Henry. »Junger Herr, könnten Sie einen Kessel mit Wasser füllen und über das Feuer stellen? Wenn es kocht, tauchen Sie diese Instrumente zum Sterilisieren fünf Minuten lang hinein.«
    Henry setzte sich in Bewegung. Er sah ziemlich grün aus. Als Nächstes wandte sich Polidori an Elizabeth. »Ich weiß bereits, junge Dame, dass Sie nicht zimperlich sind.«
    »Überhaupt nicht«, sagte sie tapfer.
    »Ausgezeichnet. Sie sollen bei dieser Operation meine Assistentin sein. Junger Herr, ich denke, Sie werden es bequemer haben, wenn Sie sich hinlegen.«
    Ich legte mich auf den schmalen Tisch. Das Ende war leicht nach oben angewinkelt, und so konnte ich sehen, wie Polidori fortfuhr und meinen rechten Arm der Länge nach auf einem mit weißem Leinen bedeckten Beistelltisch festschnallte.
    Ich mochte es nicht, dass mein Arm festgebunden wurde, doch dass es notwendig war, sah ich ein, auch jetzt, wo mir meine Gedanken wie im Nebel und unwirklich erschienen. Ich musste ruhiggehalten werden, denn der Schmerz dürfte ohne Zweifel …
    Ich biss die Zähne aufeinander und verbannte diesen Gedanken aus meinem Kopf, indem ich Elizabeth anblickte und ihr prächtiges Haar, das ihr Gesicht umrahmte. Sie würde sehen, wie tapfer ich war, wie groß meine Zuneigung zu meinem Bruder – und zu ihr. Ich würde ihr den Geliebten zurückbringen.
    Sie sah meinen Blick und erwiderte ihn, und ich spürte, wie mir ihr Blick Kraft gab. Sie lächelte. Wenn ich dieses Lächeln während der ganzen Prozedur sehen könnte, wäre alles in Ordnung.
    Henry kam mit den sterilisierten, in ein sauberes Tuch eingeschlagenen Meißeln zurück.
    »Hören Sie mal«, sagte er in einem für ihn untypisch energischen Tonfall. »Sind Sie für diese Art von Operation überhaupt qualifiziert?«
    »Finden Sie mir einen Chirurgen, der bereit ist, diese Operation durchzuführen, und ich wäre nur zu glücklich, das Ganze ihm zu überlassen«, erwiderte Polidori.
    Wir alle wussten, dass kein seriöser Arzt mir die Finger abnehmen würde, nur weil wir ihn darum baten. Und außerdem hatten wir sowieso keine Zeit. Konrad brauchte das Elixier jetzt.
    »Aber haben Sie zumindest Erfahrung mit so etwas?«, fragte Henry den Alchemisten.
    Ich wusste nicht, was beruhigender wäre: wenn er keine hätte oder wenn er ganz vergnügt in den Jahren seiner Laufbahn vielen Leuten die Gliedmaßen amputiert hätte.
    »Meine Geräte sind nicht die eines Chirurgen, das muss ich einräumen«, sagte Polidori, »doch für die anstehende Aufgabe, kann ich Ihnen versichern, sind sie bestens geeignet.«
    »Es wird stark bluten. Wissen Sie, wie man das stoppt?«
    »Das weiß ich in der Tat, junger Herr. Sobald mir klar war, dass diese fatale Aufgabe auf mich zukommen würde, habe ich mich über das genaue chirurgische Vorgehen kundig gemacht. Und ich kann Ihnen versichern, dass ich alles durchdacht habe. Ihr Freund wird sich von dieser Verletzung schnell und ohne Infektion erholen.«
    »Wenn er irgendeinen Schaden erleidet, wird sein Vater dafür sorgen, dass Sie hängen«, sagte Henry. »Und wenn nicht er, das schwöre ich Ihnen, werde ich es selbst tun.«
    Henrys Treue machte mir das Herz leicht.
    Polidori lächelte freundlich und legte besänftigend die Hand auf Henrys Arm. »Solche bedrohlichen Schwüre sind nicht notwendig. Alles wird gut gehen.«
    Mit einer Greifzange lege Polidori die Meißel auf den Tisch, auf dem auch mein Arm festgezurrt war.
    »Sind Sie bereit?«, fragte er mich. Ich empfand seine gelassene Zuversicht als beruhigend. Doch als ich versuchte, Ja zu sagen, war mein Hals so trocken, das nicht einmal ein Krächzen herauskam. So nickte ich einfach.
    »Hier, das werden Sie für den Schmerz benötigen.« Er gab mir ein Glas, das nahezu bis zum Rand mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit gefüllt war. Ich bemühte mich erst gar nicht, tapfer zu sein, und kippte das feurige Zeug in zwei großen Schlucken in mich hinein. Danach sah ich alles doppelt, aber ich spürte, wie eine unbekümmerte Sorglosigkeit mich durchströmte.
    Ich glaube, ich fing an zu lachen, war nicht ganz bei mir. »Schau nicht zu, Henry. Das wird nicht sehr angenehm.« Ich winkte mit der freien Hand. »Sicher gibt es hier ein Buch, das dich interessiert.«
    »Ich bleibe hier bei dir«, antwortete er und zog sich einen Stuhl näher.
    »Danke, Henry«, sagte ich.

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