Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
zurückkehren.
Er wandte sich an Helga, die das Gespräch immer noch aufmerksam verfolgte, und fragte: »Und wann werden Sie zurück zu Ihrem Sohn ziehen? Haben Sie die Umzugsfirma schon gebucht, jetzt wo Ihr Exmann tot ist?«
»Ich verbitte mir das!«, donnerte die Stimme ihres Vaters. »Ich verbitte mir diesen Ton! Gehen Sie! Sofort!«
Draußen auf dem Hof blickte er sich noch einmal um. Er rechnete damit, das Gesicht des alten Mannes hinter der Gardine zu sehen. Doch niemand sah ihm hinterher. Als er den Dienstwagen aufschloss, machte sich sein Handy bemerkbar. Es war sein Chef.
»Hambrock!«, begrüßte er ihn. »Hast du mich vermisst?«
»Unsinn. Ich wollte dich nur fragen, ob die Sache mit deinem Jungen inzwischen geregelt ist.«
»Alles bestens. Ich bin in Düstermühle und war gerade bei Helga Schulte-Stein. Aber das hat mich auch nicht wirklich weitergebracht.«
»Bist du noch dort in der Nähe?«
»Ist stehe auf ihrem Hof.«
»Hervorragend. Ich möchte, dass du zu Schulte-Stein rübergehst und mit Manfred sprichst.«
»Kein Problem. Worum geht es denn?«
»Es geht um seinen Onkel. Wir haben nämlich eine neue Spur. Onkel Fritz aus Köln.«
11
Noch einen Tag bis zu Siegfrieds Beerdigung. Sie wollte das alles nicht wahrhaben. Er konnte doch jeden Moment zur Tür reinkommen. Er würde sie umarmen, sich zu ihr an den Tisch setzen, und dann würden sie gemeinsam Kaffee trinken. Wie sie es an fast jedem anderen Nachmittag in den letzten vierzig Jahren auch getan hatten.
»Mutter! Hörst du mir überhaupt zu?«
Sie hob den Kopf. Bodo stand vor ihr und fuchtelte mit den Händen in der Luft herum. Wenn sie ihn so betrachtete, konnte sie sich gut vorstellen, wie er als Chef war, in dieser Produktionsfirma, wo er im Management arbeitete. Einer, mit dem man sich lieber nicht anlegt.
»Ich habe gesagt, wir müssen uns entscheiden, ob der Sarg offen oder geschlossen sein soll. Die Leute vom Beerdigungsinstitut müssen das jetzt wissen. Jetzt gleich. Die Zeit läuft ihnen davon.«
Renate Wüllenhues hörte gar nicht richtig hin. Sie fragte sich wieder einmal: Wieso war Siegfried überhaupt in dieser Schmiede gewesen? Was hatte er dort gewollt? Sie war doch morgens immer die Erste gewesen, die aufstand. Er hätte neben ihr im Bett liegen müssen. Er schlief immer so lang. Nur eben an diesem Tag nicht. Da war er bei Schulte-Stein gewesen. Aber weshalb nur? Das ging ihr einfach nicht in den Kopf.
Natürlich: Sie war es gewohnt, dass Siegfried nicht alles mit ihr besprach. Es hatte einen geheimen Bereich gegeben, zu dem es für sie keinen Zugang gab. Eine Seite seiner Persönlichkeit, die er im Verborgenen hielt. Das war schon immer so gewesen, schon, als sie sich kennengelernt hatten. Siegfried hatte sie geliebt, natürlich. Trotzdem war da eine Distanz zwischen ihnen gewesen. Sie hatte das akzeptiert, die ganzen Jahre über, und sie hätte es auch in Zukunft getan. Doch jetzt war etwas Furchtbares passiert: Diese unbekannte Seite, dieses verborgene Ich, war verantwortlich für seinen Tod. Es hatte ihn mit sich gerissen. Und Renate blieb allein zurück. Ohne Erklärung, ohne Abschied, und wieder mal war sie von allem ausgeschlossen. Sie fühlte sich um das Leben betrogen, das sie an seiner Seite geführt hatte. Um seine Liebe. Als wäre sie nie ein Teil davon gewesen.
»Mutter, bitte. Ich weiß, es ist schwer, aber wir müssen jetzt darüber reden. Die Leute warten auf uns.«
Renate sah wieder auf. Wie ähnlich Bodo seinem Vater war. Schon als kleiner Junge hatte er immer Abstand gehalten. Das hatte er von Siegfried geerbt, dieses Unzugängliche.
Inge Moorkamp trat neben Bodo und legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. Sie war seit dem Vormittag hier, um bei den Vorbereitungen für die Beerdigung zu helfen.
»Lass mal, Bodo«, sagte sie. »Nicht jetzt.«
Es war ständig jemand von den Nachbarn hier. Antonius Holtkamp, Carl Beeke und all die anderen. Sie versuchten, Trost zu spenden. Renate zu zeigen, dass sie nicht alleine war. Und sie war unendlich dankbar, denn sie hätte es nicht ertragen, mit ihren Gedanken ganz allein zu sein.
»Entscheide du das ruhig, Bodo«, sagte Inge. »Das ist jetzt nicht so wichtig.«
Er wollte widersprechen, doch sie sagte: »Du wirst schon das Richtige tun«, und drängte ihn sanft zur Tür.
Bodo ging ins Wohnzimmer, um mit dem Mann vom Beerdigungsinstitut zu telefonieren. Inge setzte sich zu Renate an den Tisch. Sie nahm ihre Hände und drückte sie sanft.
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