Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
Renate wunderte sich, wie warm und weich Inges Hände waren. Genau wie ihr Lächeln.
»Es ist gleich alles geregelt«, sagte Inge. »Es wird eine schöne Beerdigung werden, mach dir keine Gedanken. Wir werden Siegfried in Würde verabschieden. Ich habe mit meinen Kindern in der Gaststätte gesprochen. Sie haben für den Empfang alles fertig.«
»Warum hat er das getan? Verstehst du das, Inge? Warum hat er mir das angetan?«
»Es war Herzversagen, verstehst du? Das war nicht geplant. Er konnte nichts dafür.«
»Aber wieso war er denn überhaupt in der Schmiede? Was wollte er bei Alfons?«
»Das wissen wir nicht. Aber die Polizei wird Antworten finden, ganz sicher.«
»Er hatte Geheimnisse. Immer schon. Es gab Dinge, von denen ich nichts wissen durfte. Ich versteh das alles nicht.«
»Versuch, nicht darüber nachzudenken. Wir müssen abwarten, was die Polizei sagt.«
»Aber warum hat er nur diese Schmiede angezündet? Er hat das Feuer gehasst! Nicht mal einen Grill wollte er im Garten haben. Was war da nur los? Ich muss das wissen.«
»Mutter, bitte!« Bodo war wieder aufgetaucht. Renate hatte gar nicht bemerkt, dass er in den Raum gekommen war. »Geht das schon wieder los?«
Bodo setzte sich zu den Frauen an den Tisch und bedachte sie mit einem düsteren Blick. Seine Stimme wurde hart. »Lass das doch endlich, Mutter. Das macht ihn auch nicht wieder lebendig.«
»Bodo …« Inge strich über seinen Arm und brachte ihn damit zum Schweigen.
Renate verspürte einen Stich. Es war eine so zärtliche Berührung, so viel Tröstendes lag darin. Renate wünschte sich, sie wäre ebenfalls in der Lage gewesen, ihren Sohn auf diese Weise zu berühren. Aber es stand zu viel zwischen ihnen. Siegfrieds Geheimnisse waren zu Bodos geworden. Da spielte es keine Rolle, ob Bodo wirklich den Grund für Siegfrieds Anwesenheit in der alten Schmiede kannte. Allein seine unzugängliche und verschlossene Art reichte aus, um ihren Eindruck zu verstärken.
»Ich werde nach Warendorf fahren«, verkündete Renate und stand auf. Überraschte Gesichter. »Ich habe nichts zum Anziehen für die Beerdigung. Am besten, ich fahre gleich jetzt.«
»Ich begleite dich«, sagte Inge, die sich nicht aus dem Konzept bringen ließ. »Vielleicht kann ich dir helfen. Wir können zum Modehaus Finke fahren.«
»Nein, Inge. Das ist ganz lieb von dir. Aber ich möchte jetzt für einen Augenblick alleine sein.«
Inge betrachtete sie nachdenklich. Renate fragte sich bereits, ob sie Verdacht schöpfte. Aber dann lächelte sie nur und sagte: »Also gut. Melde dich einfach, wenn du etwas brauchst. Wir sind alle für dich da.«
Renate nahm den Autoschlüssel und machte sich auf den Weg. Sie hatte nicht vor, zu einem Modehaus zu fahren. In ihrem Kleiderschrank waren genügend Sachen, die sie morgen anziehen konnte. Aber die Geschichte ließ ihr keine Ruhe. Sie musste Antworten finden auf ihre Fragen. Erst dann konnte sie Siegfried ziehen lassen. Sie hatte seine verborgene Innenwelt all die Jahre über respektiert. Es war nicht recht, dass er sich ausgerechnet dorthin zurückzog, um sie mit ihren Fragen allein zu lassen.
Der Schlüssel war Rosas Fotoalbum. Das war ihr sofort klar gewesen. Auf den Bildern gab es etwas Bedeutsames zu sehen. Etwas Gefährliches. Und der Schauplatz war das Anwesen der Schulte-Steins gewesen. Nicht umsonst war das Album kurz nach Alfons’ Tod gestohlen worden. Was immer zu der Zeit, als die Fotos gemacht worden waren, auf dem Hof geschehen war – es war der Grund dafür, weshalb Siegfried an jenem Morgen in der Schmiede war, anstatt neben ihr im Bett zu liegen und auszuschlafen. Es war der Grund dafür, weshalb er jetzt fort war und sie allein weiterleben musste.
Auf dem Weg nach Warendorf begann es zu schneien. Einzelne Flocken irrten durch die Luft, wirbelten herum und schmolzen schließlich, sobald sie den Boden berührten. Nicht mehr lange, dann würde es dunkel werden. Sie wollte sich beeilen.
Das Pflegeheim lag in der Nähe eines Wäldchens am Stadtrand. Ein hübsches und freundliches Anwesen, das einem das Gefühl gab, die alten Leute seien hier gut aufgehoben. Auch im Innern des Hauses war es hell und behaglich, das Personal war aufmerksam und entgegenkommend, und die Bewohner schienen tatsächlich im Mittelpunkt zu stehen. »Ihrer Mutter wird es bei uns gut gehen«, hatte die Heimleitung versichert. »Besser als zu Hause, glauben Sie mir. Sie tun genau das Richtige.« Wahrscheinlich stimmte das sogar. Trotzdem
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