Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
Schulte-Steins.«
»Wie war das damals auf dem Gutshof? Erzählen Sie mir von den Menschen, die dort lebten.«
»Nun ja. Otto Schulte-Stein, Alfons’ Vater, hat den Hof gehabt. Vor dem Krieg hatten er und seine Frau Anna im Ort gelebt, wo sie eine Apotheke führten. Aber dann ist sein Bruder gefallen, irgendwo an der Westfront. Jedenfalls musste Otto zurück auf den Hof, das hatte sein Vater so verfügt. Zähneknirschend hat er die Apotheke aufgegeben und ist zurück auf den Gutshof gegangen. Vor allem seine Frau Anna hat für eine Menge Unfrieden in der Familie gesorgt. Sie wollte die Apotheke auf gar keinen Fall verlassen, sie war zufrieden mit ihrem Leben im Dorf. Aber damals gehörte es sich einfach so. Man machte, was der Patriarch sagte, eine Alternative gab es nicht. Da spielte es auch keine Rolle, dass Otto bereits vierzig Jahre alt war. Er hatte zu tun, was von ihm verlangt wurde. Nach dem Tod seines Bruders hat er also den Hof gemeinsam mit seinem Vater weitergeführt.«
»Und wer hat die Apotheke übernommen?«
»Eine Familie aus Münster. Die ist nach dem Krieg aber wieder weggezogen. Die Leute, die sie heute führen, kenn ich nur dem Namen nach.«
»Wie ist es dem Ehepaar auf dem Gutshof ergangen?«
»Anfangs gab es noch eine Menge Streit, vor allem zwischen Anna und ihrem Schwiegervater. Doch irgendwann hatten sich alle Beteiligten mit der Situation abgefunden. Was blieb ihnen auch übrig?« Er ließ seinen Blick zum Fenster schweifen. »Allerdings kann ich Ihnen nichts Näheres dazu sagen. Es war die Zeit, in der ich im Krieg und später in Gefangenschaft war. Ich bin erst achtundvierzig zurückgekommen. Mir fehlen also beinahe acht Jahre, in denen ich nicht hier war. Alles, was ich aus dieser Zeit weiß, ist das, was mir berichtet wurde.«
»Wie alt war Alfons damals? Er muss noch ein kleiner Junge gewesen sein. Ist er gerne zu seinem Opa auf den Hof gezogen?«
»Ach so, das können Sie ja gar nicht wissen! Zu dem Zeitpunkt hatte Alfons noch gar nicht in der Familie gelebt.«
»Wie bitte?«
»Anna und Otto hatten keine eigenen Kinder. Sie konnten wohl auch keine bekommen. In der Apotheke spielte das keine Rolle, und ich glaube, Anna war es auch ganz recht gewesen, kinderlos zu sein. Sie war nicht so der mütterliche Typ, wenn Sie verstehen. Aber auf dem Hof war das natürlich anders. Man brauchte einen Erben. Außerdem wurde jede helfende Hand benötigt. Also wurden Kinder adoptiert. Wissen Sie, heimatlose Kinder gab es zu dieser Zeit mehr als genug. Eine Menge Kriegswaisen waren zu versorgen, und die Kinderheime platzten aus allen Nähten. Otto und Anna haben sich ordentliche und gesunde Kinder ausgesucht, allesamt Vollwaisen, die ganz frisch in den Heimen gelandet waren. Sie haben sie zu sich auf den Hof genommen und später adoptiert.«
»Wie viele Kinder waren das?«
»Fünf. Alfons war der Älteste, er hat später nach dem Tod von Anna und Otto den Hof übernommen. Dann waren da noch Friedhelm, Fritz, Magda und Hanne. Insgesamt drei Jungen und zwei Mädchen. Ob die aber auf dem Hof von Schulte-Stein eine bessere Kindheit hatten als woanders, das sei mal dahingestellt. Immerhin gab es was zu essen, und das war in den Jahren nach dem Krieg schon eine Menge wert. Aber an familiärer Wärme fehlte es. Wie dem auch sei, alle haben eine gute Ausbildung bekommen. Allerdings ist nur Alfons hiergeblieben. Die anderen sind überall verstreut. Sie haben sich wohl nie als wirklichen Teil der Familie gefühlt, Adoption hin oder her. So ist das nun mal.«
»Wo sind die anderen heute? Wissen Sie das?«
»Hanne und Magda sind tot. Friedhelm ist damals nach Dülmen gegangen, aber von dem habe ich schon seit Ewigkeiten nichts mehr gehört. Es hat geheißen, er wollte nach Neuseeland auswandern. Und Fritz, der lebt in Köln. Hat beim WDR gearbeitet, als Nachrichtensprecher, den hab ich öfter mal im Fernsehen gesehen. Aber der ist auch schon seit Jahren in Rente. Keine Ahnung, wie es dem geht.«
»In Köln, sagen Sie?«
Hambrock dachte an die Aussage von Manfred Schulte-Stein. Der dunkle Passat mit dem Kölner Kennzeichen, der mehrmals auf dem Hof gewesen sein sollte.
»Hielt Fritz Kontakt zur Familie?«
»Nein, gar nicht. Ich kenne den wirklich nur aus dem Fernsehen. Da schaut man ja genauer hin, wenn man so einen Sprecher als Dreikäsehoch gekannt hat.«
»Würde Manfred ihn wohl erkennen?«
»Schwer zu sagen. Manfred weiß natürlich, dass er Onkel und Tanten hat. Aber die waren in all den
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