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Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)

Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)

Titel: Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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einmal. Unbewegt blickte er zum Grabstein, und nur der Himmel wusste, wie lange das schon wieder so ging. Seit ihrem Tod war er nicht mehr der Alte. Vielleicht lag es ja an der Art und Weise ihres Sterbens. Er hatte ihre fortschreitende Demenz nicht ertragen. Am Ende hatte sie ihn nicht einmal mehr erkannt.
    Ein nasskalter Wind fuhr über den Friedhof. Heinz Moorkamp schlug den Mantelkragen hoch.
    »Walther! Du wolltest mich sprechen?« Er trat neben ihn ans Grab. »War das denn wirklich nötig, mich hierherzuholen? Diese verfluchte Kälte. Du hättest zu uns in die Gastschänke kommen können.«
    Walther Vornholte ging nicht drauf ein. »Ich habe ihr einen Strauß Astern mitgebracht.« Er deutete auf die Blumen, die in einer Vase neben dem Grablicht standen. »Aber lange werden sie wohl nicht mehr schön aussehen. Es soll heute Nacht wieder frieren.«
    »Walther, was willst du von mir? Weshalb sollte ich herkommen?«
    »Ich überlege, zur Polizei zu gehen.«
    »Wie bitte? Das kann nicht dein Ernst sein.«
    »Ich will ihnen alles sagen, was ich weiß. Damit das Ganze ein Ende hat.«
    »Aber das kannst du nicht machen! Alle stecken da mit drin! Überleg doch mal, was passieren würde. Denk über die Konsequenzen nach.«
    Walther Vornholte schwieg.
    Heinz Moorkamp packte ihn an den Schultern. »Walther, du musst durchhalten. Nicht mehr lange, und die Polizei wird aufgeben. Vielleicht glauben sie dann doch, dass es Siegfried war, der Alfons getötet hat. Wir müssen uns nur ruhig verhalten und abwarten.«
    Sein Nachbar blickte auf. Heinz Moorkamp sah den Schmerz in seinen Augen. Das langsame Sterben seiner Frau hatte ihn schwach gemacht. Er wurde zunehmend zu einer Gefahr für die Gemeinschaft.
    »Du musst durchhalten, Walther, hörst du?«
    Zögern. Dann nickte der Alte.
    »Versprichst du mir das?«
    »Ich … ja, ich verspreche es.«
    Heinz Moorkamp klopfte ihm auf die Schulter. »Es dauert nicht mehr lange, Walther. Glaub mir, bald ist alles vorbei.«
    Inzwischen war es dunkel geworden. Der Schneefall hatte wieder nachgelassen, und nach kurzer Zeit war die dünne weiße Decke in Rosas Garten geschmolzen. Die Luft war kalt und klamm, und Feuchtigkeit zog in jeden Winkel.
    Rosa rückte näher an das Öfchen heran. Im Klassikradio lief Tschaikowsky, das Klavierkonzert Nummer eins. Sie dachte an das Foto, das Alfons aus dem Album entfernt hatte. Es ging ihr immer wieder durch den Kopf. Zwei Menschen waren auf dem Foto abgebildet gewesen. Und sie hatten bei Schulte-Stein im Garten gestanden, da war sie ganz sicher. Die Sache ließ ihr keine Ruhe. So als wäre da etwas in ihrem Unterbewusstsein, das an die Oberfläche wollte. Eine Erinnerung vielleicht. Doch woher sollte die stammen? Wusste sie etwa doch, wer diese Menschen gewesen waren?
    Ein kalter feuchter Lufthauch strich über ihren Nacken. Sie fröstelte. Das kleine Sprossenfenster neben der Vitrine war undicht, sie hatte es seit Jahren auswechseln lassen wollen. Jeden Winter nahm sie es sich von Neuem vor, doch immer wenn der Frühling heraufzog, hatte sie es wieder vergessen.
    Rosa stand auf, nahm eine selbst gehäkelte Nackenrolle und drückte sie gegen die zugige Stelle an der Fensterbank. Das würde erst mal die schlimmste Kälte abhalten. Zurück am Öfchen, fiel ihr Blick auf den Couchtisch, wo noch immer die Zigarrenkiste ihrer Mutter lag, die sie am Vorabend geöffnet hatte.
    Sie zögerte. Da war die Angst vor dem, was am Boden der Kiste lag. Sie wollte das alles lieber auf sich beruhen lassen. Beklommen setzte sie sich wieder ans Öfchen, nahm ihre Handarbeit auf und lauschte dem Radio.
    Aber ihre Gedanken kamen nicht zur Ruhe. Schließlich stand sie auf. Es kostete sie Überwindung, die Kiste erneut zu öffnen. Sie griff eilig hinein und nahm den Papierstapel heraus. Es waren die Briefe von der Front und wichtige Unterlagen vom Neuanfang in Düstermühle. Vielleicht war ja doch etwas Interessantes dabei. Fürs Erste musste das reichen. Die Gegenstände am Boden der Kiste wollte sie kein zweites Mal in Augenschein nehmen. Sie kehrte mit den Unterlagen zu ihrem Sessel zurück.
    Als Erstes öffnete sie einen Feldpostbrief ihres Vaters und warf einen flüchtigen Blick hinein. Sie wusste ja schon, was drinstand. Sie waren nämlich alle gleich. Im Grunde unerträglich. Voller Propaganda und Durchhalteparolen. Bis zum Schluss hatte ihr Vater an den Endsieg geglaubt. Und an Hitler. Als er dann ausgehungert und gebrochen aus der Gefangenschaft zurückkehrte, war

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