Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
Sie. Und das bringt mich zu meiner nächsten Frage. Wir stellen gerade eine Liste mit Personen zusammen, die in dem Zeitraum, in dem die Bilder geschossen wurden, auf dem Hof gelebt haben. Die Familienmitglieder haben wir bereits zusammen. Aber das sind natürlich nicht alle.«
»Richtig«, sagte Carl Beeke. »Es gab noch Knechte und Mägde auf dem Hof.«
»Genau darauf wollte ich hinaus. Können Sie sich noch erinnern, wer damals dort war?«
»Du liebe Güte. Ich war vierzehn, als die ersten Fotos geschossen wurden. Das ist sehr lange her.«
»Trotzdem. Versuchen Sie sich zu erinnern. Von wo kamen die Mägde und Knechte, die auf dem Hof gelebt haben? Wie waren ihre Namen?«
»Sie kamen von kleinen Höfen aus der Umgebung, wo es viel Armut und viele Kinder gab. Sie haben wenig verdient auf dem Gutshof, aber sie hatten genug zu essen, und das war für manche schon eine Menge. Es waren eben andere Zeiten.«
»Damals wurden wohl keine Verträge gemacht, oder irre ich mich?«
»Nein, ich glaube nicht. Das ging alles per Handschlag.«
Es wurde still am anderen Ende. Der alte Mann begann zu grübeln. »Emma Lütke war damals auf dem Hof. Die kam aus Düstermühle. Ach ja, und dann war da noch Hubert Woltering. Mein Gott, ja: Hubert. Also, ein paar fallen mir schon ein.«
»Lassen Sie sich ruhig Zeit. Denken Sie in Ruhe darüber nach. Vielleicht könnten Sie eine Liste erstellen und mich dann noch mal anrufen?«
»Gerne. Ich mache mich gleich dran.«
Hambrock notierte schon mal die ersten beiden Namen, die Carl genannt hatte, um sie an die Kollegen weiterzureichen. Dann wechselte er das Thema.
»Ach, und da wäre noch etwas. Es hat damals sicherlich Zwangsarbeiter auf dem Hof gegeben. Wissen Sie etwas darüber?«
»Nur vom Hörensagen. Ich war ja ab 1940 selbst im Krieg. Natürlich gab es Zwangsarbeiter auf dem Hof. Ein Franzose, ein Pole und zwei Russen, wenn ich mich recht erinnere.«
»An die Namen können Sie sich wohl nicht erinnern?«
»Nein, wirklich nicht. Bedaure.«
Die Namen allein würden ihn ohnehin nicht sonderlich weiterbringen. Montag war das Kreiswehrersatzamt wieder geöffnet, dort würde er mehr erfahren.
»Wie ist es diesen Leuten bei Schulte-Stein ergangen?«, fragte Hambrock. »Wissen Sie darüber etwas?«
»O ja. Das ist kein schönes Kapitel. Er hat diese Menschen wie Vieh behandelt. Wahrscheinlich sogar noch schlechter.« Carl Beeke schwieg einen Moment, bevor er fortfuhr. »Wissen Sie, es gab Bauern, bei denen wurden Zwangsarbeiter wie Familienmitglieder behandelt. Egal, wie sehr die Nazis dagegen waren und diesen Leuten das Menschsein abgesprochen haben. Diese Bauern haben alles mit ihnen geteilt, ganz selbstverständlich. Aber es gab auch andere. Manchen Menschen sollte man keine Macht über andere geben. Sie können damit nicht umgehen. Gerade in solchen Zeiten nicht.«
»Wie war das nach der Befreiung? Da waren die Zwangsarbeiter ja noch auf den Hof. Hatte das für den alten Schulte-Stein ein Nachspiel?«
»Ja, er musste eine Zeitlang untertauchen, nachdem die Alliierten das Münsterland besetzt hatten. Wegen der Vergeltung.«
»Was war passiert?«
»Die Besatzer haben die meisten Zwangsarbeiter sofort nach Hause geschickt. Wenigstens die Polen und Franzosen. Nicht aber die Russen. Stalin wollte sie nicht mehr im Land haben, für ihn waren es Kollaborateure der Deutschen. Sie konnten also nicht nach Hause und wurden in Lagern untergebracht. Wochenlang saßen sie in der Warteschleife. Viele sind dann zu den Höfen gegangen, wo man sie schlecht behandelt hatte, und haben sich gerächt. Teilweise sind sie auch in kleinen Gruppen marodierend übers Land gezogen. Es ging unter anderem darum, sich mit Lebensmitteln zu versorgen und Beute zu machen.«
»Und Schulte-Stein musste deshalb untertauchen.«
»Richtig. Sie hätten ihn ans Scheunentor gehängt, davon kann man ausgehen. Ich weiß allerdings nicht, wo er untergetaucht ist, das kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Was war mit den anderen auf dem Hof? Den Frauen und Kindern?«
»Das weiß ich nicht. Ich kann nicht einmal sagen, ob Anna Schulte-Stein ebenfalls untergetaucht war. Aber ich habe nie davon gehört, dass in dieser Gegend Kindern etwas angetan wurde. Hauptsächlich wurden Vorratskeller ausgeräumt. Den Kindern von Schulte-Stein ist damals nichts passiert, da bin ich ziemlich sicher.« Er zögerte. »Es hat viele Gerüchte gegeben. Und wie gesagt, ich war nicht in Düstermühle. Ich muss noch mal nachdenken, was mir
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