Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
so nicht weitergehen. Er nahm den Autoschlüssel und steckte den Kopf durch die Wohnzimmertür.
»Ich fahre ein bisschen spazieren«, sagte er. »Kann ich dich einen Moment alleine lassen?«
»Ja, Vater. Bleib nur nicht so lange fort.«
»Höchstens eine Stunde. Versprochen.«
Sie lächelte. »Bis später.«
Er wandte sich ab und wollte die Tür schließen, da hörte er sie sagen: »Ach, Vater?«
»Ja? Ist noch was?«
»Ich …« Sie zögerte. Dann nahm sie die Fernbedienung und schaltete das Gerät ab. »Ich muss dich was fragen.«
Er blieb regungslos stehen. Ahnte sie irgendwas? Fieberhaft dachte er nach. Hatte er einen Fehler gemacht?
»Ich … versteh mich nicht falsch, Vater, aber ich habe über das nachgedacht, was Manfred gesagt hat.«
Die Erleichterung war übergroß. Nein, sie wusste nichts. Natürlich nicht.
»Er und Susanne haben noch einmal miteinander gesprochen«, fuhr sie fort. »Sie würden sich wirklich freuen, wenn … du weißt schon. Es wäre Platz genug im Haus.«
»Du willst sagen, du möchtest zurück auf den Gutshof.«
Ihr Blick war voller Sorge. Offenbar hatte sie Angst, ihn zu enttäuschen. Oder ihn unglücklich zu machen.
Er dachte daran, wie es wäre, allein auf seinem kleinen Hof zu bleiben. Ohne Helga, die ihm morgens aus der Zeitung vorlas und abends gemeinsam mit ihm fernsah. Ohne das Geräusch ihres Rollstuhls auf dem Linoleum.
»Ich möchte ja nicht gleich dorthin ziehen. Nur … Sie fehlen mir, weißt du? Manfred, Susanne und die Kinder. Kannst du das verstehen?«
»Mach dir keine Sorgen, Helga. Ich komme zurecht.« Er rang sich ein Lächeln ab. »Natürlich kann ich das verstehen. Ich habe längst damit gerechnet.«
»Bist du dir auch sicher?«
»Aber ja doch.«
Mit den Gedanken war er längst woanders. Es war schwer zu ertragen, hier auf der Schwelle zu stehen und dieses Theater mitzuspielen, wo ihn doch etwas ganz anderes bedrängte.
Sie schien das zu bemerken. »Dann fahr schon«, sagte sie lächelnd. »Aber bleib nicht zu lange.«
Erleichtert verließ er das Haus. Setzte sich in den Wagen und fuhr in hohem Tempo vom Hof. Es war nicht weit bis zu Moorkamps Gastwirtschaft. Er jagte auf den Parkplatz und bremste hart ab. Dann sprang er aus dem Wagen.
Die Kneipe war noch geschlossen, sie würde erst in ein paar Stunden öffnen. Drinnen war alles dunkel und verwaist. Antonius umrundete das Gebäude und ging zum Hintereingang, wo Heinz und Inge ihre Einliegerwohnung hatten. Er musste handeln. Das konnte so nicht weitergehen. Er würde Heinz zur Rede stellen.
Er klingelte. Drinnen hörte er eine Diele knarren. Dann war da eine Bewegung hinter der Gardine. Er wartete, doch nichts geschah. Er klingelte wieder, diesmal länger. Das Schrillen drang bis nach draußen. Aber es blieb alles still im Haus. Er wurde wütend. Jetzt klingelte er Sturm und donnerte mit der Faust gegen die Tür.
»Mach auf, Heinz!«, brüllte er. »Mach schon auf!«
Die Tür blieb verschlossen. Ihm blieb nichts übrig, als unverrichteter Dinge wieder abzuziehen. Seine Wut war übergroß. Er setzte sich ins Auto und fuhr einfach drauflos. Die Bundesstraße herauf, wo es keine Geschwindigkeitsbegrenzungen gab. Immer weiter, so lange, bis er Rosas Gesicht wenigstens für einen Moment vergessen konnte.
Als er schließlich auf den Hof zurückkehrte, war weit mehr als eine Stunde vergangen. Er wollte hoffen, dass Helga sich keine Sorgen machte. Für gewöhnlich hielt er sich an die Absprachen, die er mit ihr traf.
Gerade bog er um den ehemaligen Schweinestall und steuerte auf die Garage zu, als er eine Gestalt unter dem Vordach entdeckte. Er hielt den Atem an. Es war Renate Wüllenhues.
Er stoppte, stieg aus und ging ihr verwundert entgegen.
»Hat Helga dich nicht reingelassen?«, fragte er.
»Helga weiß nicht, dass ich hier bin. Dein Wagen war nicht in der Garage, deshalb habe ich gewartet.«
»Aber … weshalb? Was soll das Ganze?«
»Ich muss mit dir reden, Antonius. Und zwar sofort.«
Keller saß am Schreibtisch und blickte hinaus in den grauen Himmel. Es war bereits Samstagnachmittag, und sie waren immer noch kein Stück vorangekommen. Egal, wen sie von damals auch ausfindig machten – alle waren bereits tot. Und deren Kinder, die ja inzwischen selbst alt geworden waren, erinnerten sich nur vage daran, dass die verstorbenen Eltern überhaupt einmal auf dem Hof der Schulte-Steins gearbeitet hatten.
Es sah also nicht gut aus für das Schalke-Spiel morgen. Keller glaubte nicht
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